Freundschaftsspiel in St. Petersburg

Das Treffen der Präsidenten Putin und Erdogan wird von der russischen Presse zurückhaltend bewertet

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Der russisch-türkische Gipfel hat keinen Durchbruch, aber doch einen besseren Durchblick inmitten des politischen Nebels gebracht.

Als Journalistenfreund fiel der starke Mann am Bosporus bisher nicht auf. Doch Dienstag im russischen St. Petersburg umschmeichelte Recep Tayyip Erdogan nicht nur Amtsbruder Wladimir Putin, sondern auch die Medien als »liebe Freunde«. Die Charme-Offensive stieß jedoch weitgehend ins Leere. Erdogan, höhnte der Publizist und Ex-Diplomat Alexander Baumow beim russischen Dienst vom US-Auslandssender Radio Liberty, sei berüchtigt für den inflationären Gebrauch des Wortes »Freund«. Vor noch nicht allzu langer Zeit zählten auch Baschar al-Assad und Irans damaliger Präsident Mahmud Ahmadinedschad dazu.

Für Freund Wladimir offenbar ein Grund mehr, den Gast durchgehend als »geehrten Präsidenten« anzusprechen. Der Kremlchef, so der Tenor Moskauer Leitartikler, habe allein schon durch kühle Zurückhaltung beim Formulieren klar gemacht, dass es bei der vereinbarten etappenweisen Rückkehr zur Normalität nicht um den Neustart einer Männerfreundschaft, sondern um ein Zweckbündnis geht.

»Krieg und Freundschaft« nannte die Wirtschaftszeitung »Wedomosti« den derzeitigen Schwebezustand. Die Sanktionen würden erst zu Jahresende fallen, der Bau der Schwarzmeer-Pipeline Turkstream sei mit vielen Unwägbarkeiten behaftet. Diese aber war schon vor dem Zerwürfnis nach dem Abschuss des russischen Kampfjets das Kernstück der strategischen Partnerschaft, auf die sich Putin und Erdogan Ende 2014 verständigt hatten. Der Politikwissenschaftler Michail Rostowski spricht von einer »Allianz zweier Einsamkeiten«. Beide, schreibt er in einem Meinungsartikel für das Massenblatt »Moskowski Komsomolez«, seien international nahezu isoliert, wegen unterschiedlicher Interessen jedoch nur Partner auf Zeit. Die würden sie für gemeinsamen massiven Druck auf den Westen nutzen. Zwar sei Ankaras NATO-Austritt pures Wunschdenken. Doch erstmals seit Langem biete sich für Moskau die Möglichkeit, »einen Keil in das Herzstück« des westlichen Militärbündnisses zu treiben und dessen Expansion in der Schwarzmeerregion zu stoppen. Gegensteuern könne der Westen nur mit Integration der Türkei in europäische Strukturen. Doch dazu habe sich Erdogan zu weit vom abendländischen Wertekanon entfernt.

Mit der Türkei gebe es jetzt in der NATO ein Gegengewicht zu den russophoben Balten und Polen, glaubt Balkan-Experte Artjom Ulunjan. Für zusätzlichen Druck sorge, dass man in St. Petersburg auch über militärtechnische Zusammenarbeit sprach. Erdogan befürchte ein Embargo der Allianz für leichte Waffen, die bei Niederschlagung innerer Unruhen zum Einsatz kommen. Liefert Russland, werde auch die Generalität - Erdogans Intimfeind - geschwächt.

Erdogan brauche Moskau vor allem als Verbündeten für seinen »persönlichen kalten Krieg« gegen Deutschland und die EU schreibt die kritische »Nowaja Gaseta«. Für beide sei der jeweils andere jedoch keine gleichwertige Alternative für gute Beziehungen zum Westen.

Störfaktoren für eine dauerhafte Allianz, warnen »Kommersant« und »Nesawissimaja Gaseta«, seien zudem das Kurdenproblem, bei dem Ankara mehr Druck aus Moskau erwarte, und Syrien. Putin wie Erdogan hätten dazu auf der Pressekonferenz nichts Konkretes gesagt, was Militärs und Geheimdienstler danach vereinbarten, erfuhr die Öffentlichkeit bisher nicht. Das lasse vermuten, dass es nach wie vor unüberbrückbare Differenzen gibt.

Dafür komme Bewegung in die Lösung des Konflikts um Aserbaidschans Armenier-Region Karabach, glaubt Kaukasusexperte Arkadi Dubnow. Das Thema stand schon auf der Agenda des Dreiergipfels Russland-Iran-Aserbaidschan zuvor in Baku. Russland und die Türkei wollen das Format für ihre Zusammenarbeit mit Aserbaidschan kopieren. Ankara verfügt dort über erheblichen Einfluss und könnte für einen russisch-iranischen Kompromiss werben. Beide Kriegsparteien, so Putin, würden sich dabei als Sieger fühlen. In Kürze wird Armeniens Präsident Sersh Sargsjan in Moskau erwartet.

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