Freedom of Movement? Nicht zum Weltsozialforum

Stefanie Kron über die abgelehnten Visa zahlreicher TeilnehmerInnen aus dem Süden

  • Stefanie Kron
  • Lesedauer: 4 Min.

Bilal Al-Jouhari aus Marokko ist entrüstet: »Alle wollten kommen, aber nicht eine einzige Person der Selbstorganisationen der sub-saharischen TransitmigrantInnen in Marokko, hat für die Teilnahme am Weltsozialforum (WSF) hier in Montréal ein Visum erhalten«. Al-Jouhari ist Mitarbeiter der marokkanischen Menschenrechtsorganisation GADEM, die sich für die Rechte der vielen Tausend in Marokko auf ihrem Weg nach Europa gestrandeten Menschen aus dem Senegal, aus Mali, Nigeria oder dem Kongo einsetzen.

Noch vergangenes Jahr beim WSF im nordafrikanischen Tunis waren es vor allem die vielen verschiedenen migrantischen und pro-migrantischen AktivistInnen und NGOs aus Europa, aus Nord- und Westafrika und sogar aus Mexiko und Zentralamerika, die sich das ansonsten seit Jahren kriselnde WSF angeeignet und mit neuem Leben gefüllt hatten.

Ähnlich wie während des WSF im senegalischen Dakar 2011, entstand in der bröckelnden Legitimität und Struktur des WSF etwas Neues und Unerwartetes: Ein Ort, an dem Flüchtlinge, MigrantInnen und ihre UnterstützerInnen sich vernetzen, Wissen über Routen und Gefahren der Migration, oder über Freunde und Familienangehörige, die auf dem Weg nach Europa »verschwunden« sind, austauschen sowie über mögliche Strategien gegen die tödlichen Folgen der zunehmend restriktiven Grenzregime in Nordamerika und Europa sprechen konnten.

Trésor, der aus Kamerun über Marokko und das Mittelmeer nach Europa kam, und für diesen Weg mehrere Jahre brauchte, berichtet, dass er sich auf dem WSF in Dakar als migrantischer Aktivist politisiert und die nötigen Kontakte für die Reise nach Europa geknüpft habe. Trésor lebt heute in Berlin, ist Sprecher »Coalitión Internationale des Sans Papiers et des Migrants« (CISPM/voix des migrants) in Deutschland. CISPM ist ein gewichtiger und transnational organisierter Akteur der Geflüchteten-Bewegungen in Deutschland, in Italien, Frankreich und Griechenland. Gerne wäre Trésor auch nach Montréal gereist, um migrantische Selbstorganisationen etwa aus den Amerikas kennen zu lernen. Doch weder seine unbefristete Aufenthalterlaubnis, noch die Ehe mit einem deutschen Staatbürger oder die Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Nordamerika konnten die kanadischen Behörden dazu bewegen, Trésor ein Visum für Kanada und damit für die Teilnahme am WSF auszustellen.

Trésor ist kein Einzelfall. Einer Erklärung der Mayfirst-Bewegung zufolge, die unter anderem für die alternative und kollaborative Nutzung von Internet-Providern und digitaler Medien eintritt, hat die kanadische Regierung 70 Prozent der Visaanträge von WSF-TeilnehmerInnen aus den Ländern des Südens zurück gewiesen. Mindestens 200 Menschen, unter ihnen allein 20 Mayfirst-AktivistInnen, vor allem aus dem sub-saharischen Afrika, aber auch aus dem Iran, aus Nepal, Zentralamerika und Haiti soll die Einreise verweigert worden sein, berichtet hingegen das kanadische Internetportal La Presse vom 5. August.

Bereits während des WSF vergangenes Jahr in Tunis hatten zahlreiche Organisationen aus dem Globalen Süden die Entscheidung des Internationalen Rates scharf kritisiert, das nächste WSF in Montréal und damit erstmals in einer Stadt des Nordens auszurichten. Man befürchtete, dass viele TeilnehmerInnen kein Visum erhalten würden, aber auch, dass die hohen Kosten für Anreise und Aufenthalt die Mehrheit der Menschen aus den Ländern des Südens davon abhalten würde, am WSF teilzunehmen.

Tatsächlich fand die diesjährige Eröffnungsparade des WSF am Dienstagabend, an der etwa 10.000 Menschen teilnahmen, ohne die sonst recht großen Delegationen von Basisbewegungen und Gewerkschaften aus Lateinamerika, Westafrika oder Indien statt. Auch aus der Türkei, den kurdischen Gebieten und anderen Ländern des Nahen Ostens oder Nordafrika waren, anders als vergangenes Jahr in Tunis, nur sehr wenige TeilnehmerInnen anwesend.

Ohnehin hatten sich bis Dienstagabend erst 14.000 Personen registriert. Das ist nur etwas mehr als ein Zehntel der Menschen, die zu den ersten Weltsozialforen etwa nach Brasilien gekommen waren. Das liegt sicherlich nicht nur an der restriktiven Migrationspolitik der kanadischen Regierung oder an den hohen Kosten für den Aufenthalt in Montreal. Ein weiterer Grund mag auch das inzwischen chronisch zu nennende Fernbleiben der europäischen Post-Krisen-Linken sein, darunter beispielsweise die sozialen Bewegungen aus dem Umfeld der neuen linken Parteien in Europa sowie die blockupy und no-border-Bewegungen.

Sehr stark vertreten sind dieses Mal hingegen nordamerikanische Gruppen und Organisationen für Klimagerechtigkeit und Ressourcenschutz. Die kanadischen Organisatoren des WSF, wie Roger Rashi von Alternatives, einem weltweiten Netzwerk von linken NGOs, hoffen daher, dass während des WSF zumindest ein linker Fokus auf die sozialen Dimensionen von Umweltkonflikten geschärft wird. Daneben sollte allerdings die drängende Frage, ob und wie die sozialen Bewegungen des globalen Südens, die europäischen Anti-Austeritäts-Bewegungen und die transnational vernetzten Bewegungen für die Rechte von MigrantInnen das sichtlich überkommene Format des WSF als ihren Ort annehmen, umgestalten oder wieder beleben könnten, im Mittelpunkt der kommenden Tage stehen.

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