Ein Ministerium als Affären-Fabrik
Obskure V-Leute, Skandale um PC und Klopapier - Erfurter Innenressort sorgt für Schlagzeilen
Die Affäre um heimliche Telefonmitschnitte bei der Polizei ist Anlass für eine Sondersitzung des Thüringer Landtags am Mittwoch. Nach jüngsten Angaben von Landesinnenminister Holger Poppenhäger (SPD) waren zuletzt an 85 Nebenstellen Telefonate automatisch aufgezeichnet worden - ohne Wissen der Gesprächspartner der Beamten. Das Ressort war bereits vor Amtsantritt der rot-rot-grünen Landesregierung regelmäßig Vorwürfen ausgesetzt, hinter denen auch immer wieder Affären standen, die über Wochen und Monate hinweg virulent blieben.
Die Raststätten-Affäre: Im November des Jahres 1990 nahm Willibald Böck (CDU) als Landtagsabgeordneter eine Woche vor seiner Ernennung zum Thüringer Innenminister von einem Boten in der Landtagskantine 20 000 D-Mark in bar an, die von einem Raststättenunternehmer stammten. Als der Fall im Jahr 1992 bekannt wurde, sprach Böck von einer persönlichen Spende ihm damals unbekannter hessischer Parteifreunde für seine politische Arbeit. Er trat im August 1992 zurück.
Die LKA-Affäre: 1997 wurde bekannt, dass ein leitender Fahnder des Landeskriminalamtes (LKA) für Organisierte Kriminalität vorbestraft und hoch verschuldet war. Der Fall zog schwer durchschaubare interne Ermittlungen mit Sonderkommissionen wie »Hecht« und »Anti-Virus« zum Verdacht auf Korruption und Geheimnisverrat nach sich. Der LKA-Präsident verlor sein Amt. Die Affäre fiel in die fünfjährige Amtszeit von Richard Dewes (SPD).
Die PC-Affäre: 1997 verschwanden beim Umzug des Landesinnenministeriums in Erfurt zwei Computer. Einer von ihnen aus dem Vorzimmer des für Verfassungsschutz zuständigen Abteilungsleiters enthielt brisante Dateien, etwa aus der geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollkommission zu Verfassungsschutzthemen oder Notizen zu internen Ermittlungen. Innenminister Dewes geriet monatelang unter Druck, auch durch den Koalitionspartner CDU. Die PC blieben verschwunden.
Die Verfassungsschutz-Affäre I: Ende der 1990er Jahre eskalierten die Spannungen innerhalb des Verfassungsschutzes bis zu öffentlichen Grabenkämpfen. Als dabei bekannt wurde, dass ein prominenter Neonazi V-Mann war, suspendierte Innenminister Christian Köckert (CDU) Anfang 2000 Verfassungsschutzchef Helmut Roewer. Obwohl Köckert beteuerte, dass das Amt keine führenden Neonazis mehr abschöpfe, wurde 2001 NPD-Landesvize Tino Brandt als V-Mann enttarnt. Brandts Spitzeltätigkeit war auch einer der Gründe für das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens.
Die Verfassungsschutz-Affäre II: 2001 tauchten Daten von einer Sicherungskopie der 1997 verschwunden Computer auf. Dem Innenministerium wurde vorgeworfen, sie einer Zeitung zugespielt zu haben. Köckert bestritt das, musste aber später einräumen, dass eine CD mit den Daten aus einem Panzerschrank verschwunden war. Im Oktober 2002 trat er zurück.
Die Kamera-Affären: Beim Test einer Pilotanlage zur Kennzeichenerfassung im Rennsteigtunnel wurden im September 2003 Kennzeichen von 658 Autos erfasst und wochenlang gespeichert. Dem Vorwurf, CDU-Innenminister Andreas Trautvetter (2002 bis 2004 im Amt) habe dazu den Landtag belogen, widersprach die Mehrheit eines Untersuchungsausschusses. Für die Kennzeichenerfassung gab es keine rechtliche Grundlage. Laut Ministerium gingen die Aufzeichnungen auf eine Fehlfunktion der Anlage zurück. Im Herbst 2003 stellte sich zudem heraus, dass Überwachungskameras in Weimar auch den Eingang zweier Zeitungsredaktionen erfassten. Das Innenministerium stoppte das Projekt nach heftigen Protesten.
Die Verfassungsschutz-Affäre III: In der von 2004 bis 2008 dauernden Amtszeit von Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU) schöpfte der Verfassungsschutz mit Wissen der Ministeriumsspitze den Erfurter NPD-Funktionär Kai-Uwe Trinkaus ab, der auch versuchte, Sportvereine und Vertriebenenverband zu unterwandern. Trinkaus gab seine zweijährige V-Mann-Tätigkeit 2012 zu. Ein Untersuchungsausschuss rügte Fehler von Ministerium und Verfassungsschutz. Trinkaus hätte demnach nie V-Mann sein dürfen.
Die Klopapier-Affäre: In einer Außenstelle des Landeskriminalamtes verschwanden 2011 größere Mengen Toilettenpapier. Die Polizei nahm aufwendige interne Diebstahlsermittlungen auf. Der Fall sorgte für viele höhnische Schlagzeilen in einer Zeit, als das von Jörg Geibert (CDU, Amtszeit 2010 bis 2014) geleitete Ministerium vor allem bei der Aufklärung des NSU-Falls im Fokus stand. dpa/nd
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