Wut und zwei Plattenspieler
Die TV-Serie »The Get Down« über die Anfänge des Hip-Hop
Es gibt im Pop eine Dynamik, die eher früher als später jedes Aufbegehren, jede Kreativität, jeden Eigensinn darin zugrunde richtet: Verzeichnet ein Musikstil samt Lebensgefühl im Underground messbaren Erfolg, zieht ihn der Mainstream zügig ans Tageslicht und macht daraus eine Massenkultur. Das ist Blues und Jazz einst ebenso widerfahren wie Rock’n’Roll, Techno, Metal, ja selbst Punk. Doch nichts und niemandem erging es nachhaltiger so als dem Hip-Hop.
Nachdem die subkulturelle Ausdrucksform des Sprechgesangs im heruntergekommenen New York der späten 70er Jahre entstanden war, dauerte es kaum zehn Jahre, bis daraus das heutige Milliardengeschäft erwachsen war. Umso erstaunlicher erscheint es da, dass sich bisher noch kein TV-Sender ernsthaft seriell mit Rap auseinandergesetzt hat. Und umso logischer ist es, dass diese Leerstelle nun von einem Streamingdienst gefüllt wird.
Netflix nämlich hat kürzlich »The Get Down« online gestellt, und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Nemesis des linearen Fernsehens die strafende Göttin schwarzer Musik fiktionalisiert. In den ersten der 60-minütigen Folgen veranschaulicht das bislang teuerste Projekt des Internetsenders, wie sich Hip-Hop 1977 aus den Ruinen von Sinatras Big Apple zum höchst lukrativen Sound erhob. Als R’n’B und Funk zuvor in die weiße Mittelschichtsdisco entführt wurden, holte sich das afroamerikanische Ghetto seinen Besitz nämlich zurück, riss ihn Fetzen und legte dermaßen sozialkritische Wortkaskaden drüber, dass Ronald Reagan vor Sorge die Nationalgarde gen Bronx beordern wollte - fertig war ein Genre, das wenig mehr kostete als zwei Plattenspieler und die Wut der Protagonisten.
In der Serie entkommen zwei New Yorker dem Schicksal afroamerikanischer Ghettokids jener Tage - kriminell oder arbeitslos zu werden - dadurch, dass sie bei Grandmaster Flash in die Lehre gehen. Für Außenstehende: Geboren als Joseph Sadler, hat der unverwüstliche Gottvater des real existierenden Rap seinerzeit fast sämtliche DJ-Techniken erfunden, die dem Hip-Hop das klangliche Gerüst lieferten. In der Serie spielt ihn Mamoudou Athie zwar eher als tragende Nebenrolle, grundiert mit ihr aber eine Musikserie, die dank der politischen Bedeutung des »CNN der Schwarzen«, wie Rap schon genannt wurde, weniger Musical als Historytainment ist.
Und dafür, die Musikalität trotzdem nicht nur hörens-, sondern auch sehenswert zu machen, sorgt Buz Luhrmann. Wie schon mit seinen Kinoblockbustern »The Great Gatsby« oder »Moulin Rouge«, erzählt der Showrunner auch in seiner ersten TV-Serie nicht nur die Geschichte eines Genres, sondern stattet sie zu einem solch detailversessenen Kostümfest aus, dass der Flatscreen glatt zur alten Röhre wird und das New York von heute zum Moloch der 70er Jahre. Rund zehn Jahre hat Luhrmann in sein Herzensprojekt gesteckt, hat Netflix mehr als 1,3 Millionen Dollar pro Folge aus der Nase gezogen - und jede einzelne, so scheint es nach den ersten Episode, ist es wert.
Denn beraten unter anderem von Grandmaster Flash selbst, begnügt sich der Zehnteiler, dessen drei finale Folgen noch ausstehen, nicht mit dem Abriss geschichtlicher Fakten in opulentem Outfit; er sprüht nur so vor Interesse am Sujet. Dass dabei dauernd gerappt wird, bis der Schweiß vom Bildschirm tropft, macht das Ganze abseits all der Hintergründe sogar leicht verdaulich. Was für ein Spaß. Mit so viel Ernst.
Verfügbar bei Netflix
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