Einsame Kanzlerin?
Gabriele Oertel über Freundschaft in der Politik
Angela Merkel hatte in dieser Woche ein Heimspiel. Sie war an der Ostsee in ihrem Wahlkreis. Da ein Händeschütteln, dort ein gemeinsamer Gesang - nette Menschen, die sogar Lobendes für die Kanzlerin übrig hatten. Freundlichkeit erfährt sie immer wieder. Dennoch bleibt die Frage: Hat Merkel eigentlich eine Freundin? Oder einen guten Freund? Jedenfalls jemanden, der ihr am Abend ehrlich sagt »Es war heut’ nicht dein Tag«? BeraterInnen hat sie sicher genügend. Sogenannte politische Freunde auch, selbst wenn die in ihren 16 Jahren als CDU-Chefin und in den fast elf Jahren im Kanzleramt eher weniger geworden sind. Aber richtige Freunde? Und wie sehr könnte oder - noch spannender - würde die Regierungschefin auf sie vertrauen? Wahrscheinlich hat sie es von Anfang an mit Wilhelm Tell gehalten »Der Starke ist am mächtigsten allein«.
Über Freundschaft in der Politik ist schon viel geschrieben worden. Eigentlich, so der Grundtenor der meisten Betrachtungen, funktioniert das gar nicht. Zu zerstörend wirken Machtanspruch, Konkurrenz, Sendungsbewusstsein und eben jenes Maß an Narzissmus, das eine politische Karriere überhaupt erst möglich macht. Stattdessen scheint unter Politikern das Gegenteil von Freundschaft viel häufiger anzutreffen. Belege, dass der Klassiker »Feind, Todfeind, Parteifreund« mehr als ein Kalauer ist, gibt es in der Politik hierzulande und andernorts zuhauf. Das ist insbesondere unter ehemaligen Gleichgesinnten üblich - was nicht selten in der Geschichte in Abgründe führte.
Mao und Chiang Kai-shek, Stalin und Trotzki, Fidel und Che, Lafontaine und Schröder, Erdogan und Gülen. Wo einst kein Blatt Papier dazwischen passte, wird Gegnerschaft zur politischen Effizienz, Abgrenzung zum Programm, Ego zur Triebkraft. Und ganz nebenbei sorgt gepflegte Feindschaft für jene Klarheit, die bei früherem Seit’ an Seit’ immer von einem letzten Quantum Misstrauen vernebelt war. Schopenhauer: »Die Freunde nennen sich aufrichtig, die Feinde sind es.«
Merkel hat sich auf große Gemetzel nie eingelassen. Fast unmerklich ließ sie Widersacher abperlen: Merz, Koch, Müller ist sie so losgeworden. Mit Horst Seehofer wird das so nicht funktionieren. Spannend wird deshalb, ob Bayerns Ministerpräsident den Schneid hat, den Widerstand gegen die offenbar nur noch in den Augen der Seinen flüchtlingsfreundliche Kanzlerin durchzuziehen. Zu fürchten steht, dass es der CSU-Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl ebenso ergeht wie der Verfassungsklage und dem Abzug der aus Bayern entsandten Minister - mit einem Rückzieher. Und sollte Seehofer doch in die Bütt steigen, kann die Kanzlerin ja mit Hesse in den Wahlkampf ziehen: »Gegner bedürfen einander oft mehr als Freunde, denn ohne Wind gehen keine Mühlen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.