Ein kleines Land auf vier Etagen
Im DDR-Museum in Radebeul ist man zuversichtlich, die derzeitige Insolvenz zu überstehen
Den Soundtrack zur Ausstellung, die in einem Bürogebäude in Radebeul zu sehen ist, hat Burkhard Lasch schon vor 32 Jahren geschrieben. Er schallt, gesungen von Dieter »Maschine« Birr, durch das Foyer des Industriebaus in der sächsischen Stadt, in dem einst Kraftwerksanlagen projektiert wurden. »Ich will nicht vergessen« heißt das Lied, mit dem die Puhdys 1984 Anstoß erregten, weil sie nicht von der DDR, sondern von »Deutschland« sangen. Inzwischen liegt Radebeul in Deutschland und nicht mehr in der DDR. An der Devise, die über der Ausstellung schwebt, nimmt freilich gerade deshalb mancher Anstoß: »Ich will nicht vergessen, was einmal war.«
Das DDR-Museum in Radebeul ist auf vier Etagen eine Bastion gegen das Vergessen. »Wir wollen Alltagskultur der DDR bewahren«, sagt Hans-Joachim Stephan, der Gründer der Sammlung, die als größte ihrer Art in Deutschland gilt. Gut 60 000 Objekte sind zu sehen, von der kompletten Konsum-Filiale über Eierbecher und Honecker-Bilder bis zum Spind, dessen Tür mit Nackedeis aus dem »Magazin« vollgeklebt ist. Besser als durch den Begriff »DDR-Museum« wird Stephans Anspruch durch den Untertitel der Ausstellung illustriert: »Lebensart 1949 bis 1989«. Allerdings: Nach dem Titel suchte im Internet keiner.
Wer durch die schier überbordenden Räume und Flure schlendert, der wähnt sich Jahrzehnte in der Zeit zurückversetzt. Das hat Stephan den Vorwurf eingetragen, einen ostalgischen Ramschladen zu betreiben. Abgesehen davon, dass er persönlich gar nicht in der DDR verhaftet sein kann, weil er einst Leiter eines kommunalen Bauamts in Bayern war: Der Museumschef wird bei dem Thema auch gern prinzipiell. Gedenkstätten und Grenzmuseen seien wichtig, sagt er. Aber man werde »der Sache« nicht gerecht, »wenn man den Menschen nur vorexerziert, dass sie verängstigt und umgeben von Spitzeln in einem Unrechtsstaat gelebt hätten«, sagt er. Die meisten hätten sich im Alltag arrangiert. Diesen zu zeigen, »gehört dazu, um die DDR in ihrem Sein zu bewahren«. Als er 2015 Besuch von Hand Modrow hatte, dem zeitweiligen DDR-Ministerpräsident und PDS-Ehrenvorsitzenden, sah dieser Museen vor die Wahl gestellt, dem Zeitgeist zu folgen oder sich an Fakten zu orientieren. Welche Wahl er getroffen habe? Stephan lächelt nur.
Bei den Besuchern kam das Konzept lange Zeit gut an - und zwar in Ost und West und auch bei den Jungen, betont Stephan. Bei älteren Ostdeutschen dominierte der Wiedererkennungseffekt; Gäste aus dem Westen staunten, wie ähnlich sich der Alltag in manchen Bereichen war oder welche ihrer im Katalog gekauften Besitztümer in der DDR hergestellt worden waren. Auch Schulen nutzen die Angebote gern; Stephan stellt eigene Arbeitsblätter zur Verfügung. Zu den regelmäßen Gästen gehören außerdem Soldaten: »Die Bundeswehr nutzt unser Haus für die politische Bildung«, sagt der Museumschef.
Freilich: Im vorigen Jahr schien die Popularität gelitten zu haben; statt der üblichen 60 000 Besucher kamen nur 41 000. Kritiker frohlockten, die DDR interessiere offensichtlich nicht mehr. »Stimmt nicht«, sagt Stephan. Auch andere touristische Ziele in der Region hätten ähnlich große Einbußen verzeichnet. Die Zahl der Tages-Busreisen brach ein; Firmen strichen Weihnachtsfeiern; und mancher Reisende machte in Zeiten von Pegida wohl auch einen Bogen um das sächsische »Dunkeldeutschland«.
Für das Museum war der Einbruch fatal; schließlich wollten die spanischen Eigentümer des Bürogebäudes weiterhin 3,80 Euro Miete für jeden der gut 3500 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Um die 226 000 Euro an Miete zahlen zu können, müsse er jedoch mindestens 350 000 Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften, sagt Stephan. Er sparte beim Personal; statt einst zwölf Mitarbeiter halten noch drei den »Notbetrieb« aufrecht. Doch auch das reichte nicht: Seit 1. Juli befindet sich die Betreiber-GmbH des Museums im Insolvenzverfahren.
Doch auch wenn die Lage ernst ist: Trübsal wird in Radebeul nicht geblasen. Zum einen steigt die Zahl der Besucher wieder; 50 000 Gäste sind für 2016 realistisch. Zudem hofft der Chef, dass Gespräche mit den spanischen Eigentümern über günstigere Konditionen bei der Miete fruchten. »Man hat dort keine Vorstellungen von der Qualität des Objektes«, sagt Stephan und weist auf Metall-Fensterrahmen aus den 80er Jahren. Wenn die Vermieter nicht einlenken, gebe es freilich nur zwei Optionen: Entweder man finde Sponsoren und könne Spenden einwerben, wofür es dank der kürzlich erfolgten Gründung eines Fördervereins bessere Möglichkeiten gibt. Oder »wir müssten notgedrungen an einen anderen Ort umziehen«. Wobei es sich dabei wohl nicht um die abgelegenen Gewerbehallen bei Großenhain handelt, die der Dresdner Nachtklubkönig Wolle Förster ihm unlängst angeboten hat. Das Museum gehört in eine städtische Gegend, sagt Stephan - wobei er nicht unbedingt an Dresden hängt: »Wenn eine andere ostdeutsche Stadt die Sammlung in kommunale Trägerschaft übernehmen will, hätte ich nichts dagegen.«
Noch aber wird über einen Umzug nicht geredet. Noch hoffen der Chef des Museums und der Insolvenzverwalter, dass sich eine Lösung für Radebeul findet: »Im September muss es ein deutliches Zeichen geben«, sagt Stephan. Und noch ist das Haus auch geöffnet, wie besorgten Anrufern am Telefon bestätigt wird. Dass die Gäste nicht ausbleiben, ist essenziell, sagt Stephan: »Regelmäßige Einnahmen sind die Garantie, dass der Verwalter das Haus offen lässt.« Diejenigen, die kommen, sind in aller Regel angetan. Eine italienische Familie staunt über Trabant & Co.; ein Paar mittleren Alters erinnert sich verblüfft, dass es Zigaretten der Marke »Orient Jubilar« gab. Im langen Korridor gehen sie vorbei an einer Wandzeitung zum 30. Jahrestag der DDR und einer Losung, die auf Papier geklebt ist: »Es hat sich gelohnt zu leben«. Es wäre auch ein passendes Motto für Hans-Joachim Stephans Radebeuler Zeitreise.
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