Das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben
Nach einem WM-Titel und zwei EM-Siegen vergoldet Bundestrainerin Silvia Neid zum Abschied ihre Karriere
Die Feier war dem Anlass entsprechend. Laut, lange, fröhlich. Und die Bundestrainerin war mittendrin. Silvia Neid schien losgelöst an diesem Abend, schon im Maracana, als die Fußballerinnen mit dem Olympiasieg auch die Karriere der 52-Jährigen vergoldeten, mischte sie sich unter die Spielerinnen, ebenso später im Deutschen Haus. Es wurde getanzt und gesungen, »auch wenn ich es nicht so gut kann«, wie Neid wissen ließ. Aber das spielte keine Rolle. Sie hatte am Freitagabend das letzte Ziel in ihrer Ära als Trainerin geschafft. »Es ist ein Bilderbuch-Abschied«, findet sie.
Mit ausgestreckten Armen war Silvia Neid nach dem Schlusspfiff auf den Rasen gelaufen, auf die Traube gesprungen, die ihre Spielerinnen nach dem 2:1-Finalsieg gegen Schweden gebildet hatten. »In dem Moment wird man für all die Arbeit belohnt und hat das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben«, gab sie zu. Mit feuchten Augen verfolgte sie die Siegerehrung etwas abseits, denn die Goldmedaillen wurden nur an die Spielerinnen verteilt, nicht an die Trainerin. Es war ihr letzter Arbeitstag, die letzte Mission, die es zu erfüllen galt, die sie unbedingt erfüllen wollte. Neid war eine erfolgreiche Fußballspielerin mit drei EM-Titeln, aber sie wurde eine noch erfolgreichere Trainerin. Sie sei die Frau, »die den deutschen Frauenfußball am meisten geprägt hat«, findet DFB-Präsident Reinhard Grindel. Nachdem Neid das Amt 2005 von Tina Theune-Meyer übernommen hatte, führte sie die Mannschaft auf Anhieb zum WM-Titel, später kamen noch zwei EM-Siege dazu. Es fehlte in der Sammlung nur noch Olympiagold. In Peking vor acht Jahren gewann die Mannschaft Bronze, für die Sommerspiele in London qualifizierten sich die deutschen Frauen nicht. Rio war die letzte Chance. Und es ist die Krönung geworden, »das i-Tüpfelchen«, wie Neid selbst findet. »Wer kann schon sein letztes Spiel im Maracana machen?«
Zwischendurch sah es bei diesem Olympischen Turnier nicht danach aus, als ob es klappen könnte. In der Vorrunde gelang gegen Australien nur ein Unentschieden, und gegen Kanada gab es gar eine Niederlage. Die Mannschaft quälte sich ins Viertelfinale, aber die kleine Delle hatte auch etwas Gutes: Auf dem Weg ins Finale, das war klar, würden sie weder auf den Weltmeister noch auf den Gastgeber treffen.
Die deutschen Frauen fanden wieder zu sich, und die Schwedinnen übernahmen es, zuerst die USA und dann Brasilien aus dem Weg zu räumen. Weshalb viele Zuschauer ihre Finalkarte vor dem Maracana noch loswerden wollten. Sie hatten auf Brasilien im Endspiel gehofft und nun keine große Lust verspürt, dieses rein europäische Endspiel zu sehen. Im Finale überstanden die DFB-Frauen die etwas schwierige Anfangsphase, gingen durch einen wunderschönen Distanzschuss von Dzsenifer Marozsan in Führung. Nach der Pause fiel das 2:0 durch ein Eigentor. Zwar kamen die Skandinavierinnen noch einmal heran. Aber Silvia Neid blieb ruhig an der Seitenlinie. »Nach und nach hatte ich immer mehr das Gefühl: Hier kann heute nichts anbrennen.«
Steffi Jones übernimmt nun die Mannschaft. »Es fällt mir total leicht, diese Zügel abzugeben«, sagt Neid. »Es ist ja selbst bestimmt.« Sie übernimmt den neu geschaffenen Posten als Leiterin der Scouting-Abteilung im Frauenfußball beim Deutschen Fußball-Bund. Ein ruhigerer Job als der der Bundestrainerin, ganz gewiss. 34 Jahre sei sie mit der Nationalmannschaft verbunden gewesen, sagt Neid. »Jetzt will ich mal etwas anderes machen, mich weiterbilden und mich auch ein bisschen mehr um mich kümmern.« Aber mit einem Auge trotzdem noch die Mannschaft verfolgen, die elf Jahre lang die ihre gewesen ist.
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