Zwei-drei ohne Zulage
Ja, »Hänschen klein« wird gepiffen! Matthias Dell über die Stuttgarter Tatort-Folge »HAL« auf den Spuren Kubricks
Der deutsche Fernsehfilm ist ein possierliches Wesen. Vielleicht kann man ihn sich als Schabe vorstellen oder als Fuchs, auf jeden Fall als ein Gerät, das seine Bodenständigkeit nur schwer leugnen kann. Über dem deutschen Fernsehfilm - in luftigen Regionen, den höchsten Höhen - fliegt der richtige Film, der Kinofilm, der nicht nur für kurzes Amüsement sorgt, sondern mitunter Bilder produziert, an die sich viele Menschen lange erinnern können. Manchmal auch die Macher von deutschen Fernsehfilmen; die blinzeln dann hoch in Richtung Sonne und denken, so was würde ich auch gern mal machen, und dann entsteht ein »Tatort« wie die Stuttgarter Folge »HAL« (SWR-Redaktion: Brigitte Dithard).
Womöglich werden Medienarchäologen den Versuch von Niki Stein (Buch und Regie), Stanley Kubricks Großklassiker »2001: Odyssee im Weltraum« mit den Mitteln des redaktionsgefundeten ARD-Sonntagabendkrimis wieder oder weiter zu beatmen, dereinst als ein doch auch interessantes Beispiel für die Kunst der Appropriation entdecken. Wie da knuffige deutsche Autochthone Kubricks komplex-schönes Aufklärungsepos als zeitgenössisch-nationalkulturelle »Zauberlehrling«-Version (»Besen, Besen! Seid›s gewesen«) zurückverwandeln in einen Softschocker, dessen zarter Grusel problemlos eine normalerweise nachfolgende »Anne Will«-Sendung antreiben oder gleich beherrschen könnte.
Denn das Eigene am Hochamt des deutschen TV-Sonntagabend zeigt sich daran, dass der »Tatort« ein Hybrid aus Film und Talkshow-Durchsagen ist. Die Geschichte geht vom »Künstliche Intelligenz«-Programmierer David Bogmann (bei Kubrick hieß der Protagonist David Bowman: Ken Duken), den die selbsterfundene Computeranwendung »Bluesky« konsequent diffamiert, um der Abschaltung zu entgehen, auf die ein skeptisch gewordener Bogmann sinnt. Die Story will etwas und bietet lauter Möglichkeiten für grandiose Spinnereien (Könnte ein Computerprogramm Menschen umbringen? Wie müssten Kommissare gegen so was ermitteln?), um aber immer nur auf die Realität von »Tatort«-Kommissaren zu stoßen, die sich durch den Stoff bewegen wie besserwisserische Moderatoren.
In Stuttgart ist es besonders arg mit Lonely Lannert (Richy Müller) und Busy Bootz (Felix Klare), den das feuilletonistische Topthema so einspannt, dass seine Kinder gleich gar nicht vorkommen; dabei ist das Erziehen doch der beste Zug der Figur. Lannert und Bootz sind im Grunde ununterscheidbare Charaktere, die auftauchende Pikanterien (Bogmann nutzt Escort-Dienste) mit allgemeinsten Ansichten bemoralisieren müssen (»Mir würde es was aus machen, wenn sich meine Freundin prostituiert«). Zugleich sich aber so dämlich anstellen, dass man umgehend jedes Computerprogramm in den Polizeidienst nehmen würde - das würde, gespeist aus der Erfahrung von Tausenden Kriminalfilmen, nicht so abweisend checkerhaft auf Bogmanns Geständnis reagieren wie Lannert.
Mit solchen Widersprüchlichkeiten geht »HAL« öfter zu Werke. Über abweichendes Sexualverhalten ist leicht lamentieren, aber die sogenannte Snuff-Szene, in der eine hübsche Frau barbusig von einer Gewaltfantasie aus dem Standpunkt des Täters gefilmt wird, kann nicht oft genug wiederholt werden - am absurdesten als Hintergrundbild einer Unterredung mit dem LKA. Und vor dem ganzen Tech-Schauder braucht man sich nicht zu fürchten, wenn der so zutreffend entworfen ist wie in der Gerichtsverhandlung: Bei der reden alle munter durcheinander, als ginge es um die Planung des nächsten Betriebsausflugs.
»HAL« erbringt derart weniger den Beweis, wie schlimm das mit den Algorithmen noch mal wird. Vielmehr nervt die Jovialität des Protagonistengetues, das hierarchielos öde Phrasen vor sich hinbrabbelt (»Reisende soll man nicht aufhalten«) und das wahrscheinlich für witzig hält. Oder wenn Kriminaltechnikerin Nika Banovic (Mimi Fiedler), die vom altmännerräudigen Dialogtext als das »Ihr« aller Frauen adressiert wird, Bootz sagen will, dass das Hotelzimmer der Escort-Lady zu begehen ist, für einen Moment Instantgeilheit »Kommste mit aufs Zimmer« haucht.
So ist es der größte Spaß, dem hemmungslosen Kafka- (die Zwischentitel!) und Kubrick-Reverenzerweisenwollen von »HAL« zuzuschauen. Ja, »Hänschen klein« wird gepfiffen. Und der berühmteste Match-Cut der Filmgeschichte mussmussmuss natürlich auch zitiert werden.
Eine Ansage, mit dem man auf Stehpartys reüssieren kann:
»In zwanzig Minuten müssen wir draußen sein.«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Ich weiß, für einen Laien ist das schwer vorstellbar.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.