Ein neuer Grenzzaun für Europa

Menschenrechtsgruppen kritisieren Norwegens Bau im arktischen Norden scharf

  • Bengt Arvidsson, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.

Bevor der erste Winterfrost kommt, soll er fertig sein. Norwegen hat sich entschieden, an seiner ruhigen, nur knapp 200 Kilometer langen arktischen Grenze zu Russland einen Grenzzaun aus Stahl zu errichten, um Flüchtlingen die Einreise durch den Wald zu erschweren. Dort gibt es nur einen Grenzübergang am Örtchen Storskog. Der Zaun ist 3,5 Meter hoch und 200 Meter lang. Er schließt eine Lücke bis zu einem See und auf der anderen Seite bis zu einem Rentierzaun, der schon immer da war. Zudem soll auch ein richtiges Tor an den Grenzübergang montiert werden.

Im vergangenen Jahr waren bis November rund 5500 Flüchtlinge zumeist aus Syrien, aber auch aus Afghanistan über den abgelegenen Nordzipfel Europas durch Russland nach Norwegen gelangt. Nachdem sich die Schreckensmeldungen über gefährliche Mittelmeerrouten in die EU gehäuft hatten und immer mehr Länder ihre Grenzen schlossen, wurde im Internet verbreitet, dass die sogenannte arktische Route ein viel komfortablerer und preiswerterer Weg direkt in Europas reichstes Land sei. Zudem seien Flüchtlinge in Norwegen sehr willkommen, hieß es dort.

Zunächst machten sich vor allem wohlhabendere Syrer auf den Weg, oft Assad-Anhänger, die schon seit einigen Jahren in Russland lebten. Sie kamen über Moskau mit dem Nachtflug in die Polarhafenstadt Murmansk. Dort übernachteten sie in Hotels, am Morgen ging es mit Bussen oder Taxen nach Nikel weiter, dem letzten russischen Ort vor der Grenze.

Dort verkauften Russen alte Fahrräder zu Wucherpreisen. Mit denen mussten die Flüchtlinge die letzten sieben Kilometer nach Norwegen radeln, wo sie dann Asylanträge stellen konnten. Denn Taxi- oder Busfahrer laufen Gefahr, sich als Schlepper strafbar zu machen. Russland, das sich ansonsten freundlich passiv gegenüber den Flüchtlingen verhält, erlaubt ihnen zudem nicht, die letzte Strecke zu Fuß zurückzulegen. Doch man lässt sie letztlich durch, obwohl die Grenze eigentlich streng militärisch bewacht wird, weil Norwegen zur NATO gehört.

Das wohlhabende Norwegen mit seinen 5,2 Millionen Einwohnern ist nicht EU-Mitglied, aber als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und des Schengenraums eng mit der Europäischen Union verbunden. Obwohl im vergangenen Jahr relativ wenige Menschen Asyl beantragten, wurde in der öffentlichen Debatte zum Teil der Eindruck vermittelt, Norwegen würde von Flüchtlingen überschwemmt. Die betont einwanderungskritische Regierung aus Konservativen und Rechtspopulisten handelte schnell. So startetet man eine Internet-PR-Gegenkampagne in Arabisch mit dem Tenor »Bleibt weg«. Die Asylregeln wurden drastisch verschärft, Asylbewerber zum Teil gleich zurück nach Russland geschickt. In Oslo rechnet man damit, am Ende rund die Hälfte aller Asylbewerber wieder zurückschicken zu können.

»Manche haben vielleicht gedacht, 31 000 Asylbewerber bedeuten 31 000 Flüchtlinge, die in die norwegische Gesellschaft integriert werden sollen«, schrieb der Direktor der Ausländerbehörde, Frode Forfang, in seinem Blog. »In Wirklichkeit sind es sehr viel weniger, die eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.« Bis zu 15 000 Menschen steht demnach eine Ablehnung ihrer Asylanträge bevor. Wie der Fernsehsender NRK am Dienstag berichtete, kommt jeder dritte Asylbewerber aus Syrien.

Im Juni meldete die Behörde, dass die Anzahl der Asylbewerber in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 95 Prozent gesunken sei. So wenige habe man seit 1997 nicht mehr gehabt. Dementsprechend kritisieren Menschenrechtsgruppen den neuen Grenzzaun scharf. Aber auch Rune Rafaelsen, Bürgermeister der Grenzkommune, ist kritisch. »Ich sehe keinen Grund für einen Zaun. Es werden zu viele Zäune in Europa hochgezogen«, sagte er. Die Region lebe auch vom regen Handel mit den Russen. Oslo sieht im Zaun dagegen eine »notwendige Sicherheitsmaßnahme«. Zudem sei man auch verpflichtet, die Schengen-Außengrenze zu schützen, heißt es in einer Regierungserklärung, in der gleichzeitig die weiterhin gute Kooperation mit Russland unterstrichen wird.

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