Genügend Kitt für den Kampf?
Ein Bündnis mit Spannweite von der SPD bis hin zur radikalen Linken will Einigkeit gegen die AfD demonstrieren
Ob in Köln, in Leipzig, in Nürnberg, in Hamburg oder in Dutzenden anderen Städten: Es ist Zeit, »rote Linien« zu ziehen. Überall dort wollen Regionalgruppen des Netzwerks »Aufstehen gegen Rassismus« der zunehmenden Artikulation rechter Weltanschauung durch AfD und andere fremdenfeindliche Gruppen ihre Aktionen entgegensetzen.
In Berlin stehen bald Landtagswahlen an. Hier ist das Bündnis, das sich von SPD, Jusos über Grüne und LINKE bis zu Attac, den Naturfreunden oder der Interventionistischen Linken erstreckt, bereits sehr aktiv. Jedes Wochenende machen sich Aktivistinnen und Aktivisten auf, um mit der Aktion »blauer Sack« AfD Wahlkampfveranstaltungen zu konterkarieren. Sie stellen sich mit blauen Säcken dort auf, wo die AfD Wahlkampf macht, und bieten den Passanten an, die rechte AfD-Wahlwerbung gleich in das hingehaltene Behältnis zu entsorgen. »Die AfD war sehr genervt, als wir die Aktion gemacht haben, und hat schließlich die Polizei gerufen. Doch die Leute haben uns Applaus gegeben«, berichtet Max Manzey von einer Blauer-Sack-Aktion Mitte August. Schließlich habe die Polizei die Aktion in gebührendem Abstand zum Stand der AfD erlaubt.
»In Leipzig treffen wir uns alle zwei Wochen und haben gerade 20 Leute zu Teamern ausgebildet, die nun die Stammtischkämpfer_innen-Ausbildungen durchführen können«, berichtet Jary Koch von der Gruppe LINKE.SDS, die im dortigen Bündnis aktiv ist. Die besagte Schulung sei ein wesentlicher Baustein der Aktivitäten des Bündnisses gegen Rechts.
Es sei wichtig, dass den rechten Positionen der AfD entschlossen widersprochen und die AfD gesellschaftlich »geächtet wird«, so Koch. Darum sei gerade in Mitteldeutschland oder in kleineren Gemeinden solch ein Hegemonieprojekt, wie er es nennt, extrem wichtig. Zwar gebe es im Bündnis durchaus inhaltliche Differenzen, die aber angesprochen und diskutiert würden. Wichtig sei allen der Fokus auf die AfD.
Diese lieferte zuletzt einen bemerkenswerten Bezug auf den Nationalsozialismus. »Auf einem Stadtfest kam die AfD in einem Auto mit dem Kennzeichen L-AH 1818«, berichtete Koch. Eine Kombination aus den Initialen Adolf Hitlers - ein Zufall? Eher nicht, meint Koch, denn sowohl in der AfD als auch in ihrem Umfeld seien Rechtsextreme organisiert.
»Einige sagen ja, man soll die Rechten ignorieren, dann hört das von alleine auf, aber das glaube ich nicht«, sagt Hans Treiber, Gewerkschafter aus Nürnberg. Dank der regelmäßigen Proteste des Bündnisses kämen nun immer weniger Leute zu den AfD-Aktionen und rechten Demos, so seine Erfahrung. Auch in seinem Betrieb müsse er immer wieder gegen rechte Äußerungen argumentieren, da habe ihm die Stammtischkämpferinnen-Ausbildung sehr geholfen. Am 3. September wird er dem Aufruf des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« folgen und in Berlin gegen die AfD demonstrieren.
Das Programm für die Demonstration am kommenden Samstag in Berlin steht nun fest, nachdem es in Teilen des Bündnisses Irritationen über die Auswahl der RednerInnen gegeben hatte und sogar Drohungen, dem Event fernzubleiben. Andrea Schlicht vom Hamburger Bündnis erläutert: »Wir haben kein Interesse daran, dass die Demonstration als Plattform für die wahlkämpfenden Parteien in Berlin dient.« Ihre Kritik bezog sich vor allem auf die ursprüngliche Planung, die den regierenden Berliner Bürgermeister Michael Müller als Redner vorsah. Müller wurde nun von der Liste gestrichen, der Streit beigelegt, und nun hofft auch Schlicht wieder, dass viele Hamburger nach Berlin kommen werden.
Auch der Bewegungsforscher Peter Ullrich setzt sich mit der Politik des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« auseinander. Da die SPD ihren grundlegenden Gestaltungswillen gegen Kapitalismus aufgegeben habe, gebe es zwischen den ungleichen Bündnispartnern einen »schwer auflösbaren Widerspruch«. Die Empörung über die AfD reiche zwar als Kitt eine Zeit lang aus, aber »die Wahrscheinlichkeit besteht, dass das wieder zerfasert«.
Protestforscher Simon Teune, der das Engagement gegen Rechts auf lokaler Ebene erforscht hat, sieht hingegen einen Vorteil in der Diversität entsprechender Bündnisse. Vor allem in kleinen Orten komme es vor, dass die Antifa Koalitionen mit dem örtlichen CDU-Bürgermeister schließen muss. Hierzu sieht der Forscher kaum Alternativen. Der Widerstand gegen Rechts sei, so seine Forschungsergebnisse, »erfolgreicher, wenn es gelingt, viele ins Boot zu holen«.
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