Die Welt ist wie sie ist, nicht wie ihre Beherrscher es uns sagen

Wer sich links nennt, muss gegen die Form der Landwirtschaft großer Nahrungsmittel-Multis wie Monsanto, Syngenta oder Bayer eintreten

  • Alberto Acosta
  • Lesedauer: 5 Min.

In welcher Welt leben wir, fragte Eva vor einer Woche. Wir sind rund sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Wir produzieren genug Nahrungsmittel für zehn Milliarden. Trotzdem leidet fast eine Milliarde an Hunger. An Nahrungsmitteln fehlt es nicht. Auch kein Produktionsproblem steht dahinter. Sondern Verschwendung, falsche Verteilung der Nahrungsmittel und Spekulation.

In einer Welt, wo die Fettleibigkeit neben dem Hunger koexistiert, werden jedes Jahr über 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel der besten Qualität weggeschmissen, so die UN-Welternährungsorganisation FAO. 670 Milliarden Tonnen im globalen Norden, 630 Milliarden im Süden, selbst in den ärmsten Ländern der Erde. Drei Milliarden Menschen könnte man mit dieser Menge satt machen. In Indien sorgen Profitorientierung und fehlende Infrastrukturen, verursacht durch schlechte öffentliche Politiken dafür, dass die Nahrung verdirbt, bevor sie überhaupt beim Konsumenten ankommt, berichtet uns der heimische Ökologe und Aktivist Ashish Kothari. Der voranschreitende Finanzmarkt-Kapitalismus führt auf globaler Ebene zu einer noch folgenschwereren Konsequenz: 70 Prozent des weltweit gehandelten Getreides wird von der Spekulationslogik bestimmt. Hier muss linke Politik wirksam werden.

Für eine Landwirtschaft der Monokulturen wird immer mehr Land in Anspruch genommen, wodurch sich der Verlust der Biodiversität rasant beschleunigt. Mit den sogenannten Agro- und Biokraftstoffen werden immer mehr Flächen für die Produktion von »Nahrungsmitteln« für Autos genutzt statt für den Menschen. Auf aller Welt werden Bauern durch den Agrobusiness vertrieben. Den Rest erledigen genetisch veränderte Organismen (GVO) und die dazu gehörigen technischen Pakete. Für Argentinien hat Maristella Svampa (»Lateinamerikas Linke – Ende des progressiven Zyklus«, Hrsg. Ulrich Brand) gezeigt, dass 22 von 33 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen für genmanipuliertes Soja beansprucht werden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind 75 Prozent der genetischen Vielfalt der Pflanzen verloren gegangen. 30 Prozent der Samen sind vom Aussterben bedroht, warnt das deutsche Landwirtschaftsministerium. Derweil werden 75 Prozent der Welternährung mit nur zwölf Pflanzenarten und fünf Tierarten bestritten. Reis, Mais und Getreide stellen 60 Prozent der von den Menschen weltweit konsumierten Kalorien und Proteine bereit. Nur vier Prozent der 250.000 oder 300.000 bekannten Pflanzenarten werden vom Menschen genutzt. Vor diesem Hintergrund sichern große Nahrungsmittel-Multis wie Monsanto, Syngenta oder Bayer durch die Kontrolle des Saatgutes ihre Macht. Wer sich links nennt, muss gegen diese Form der Landwirtschaft eintreten.

Auch das Wasser ist ein gefährdetes Gut, dazu kommen seine zunehmend ungleiche Verteilung und eine Nutzung, die nicht mehr zu rechtfertigen ist. Etwa im Mega-Bergbau, der nicht nur die Luft und die Böden, sondern auch gigantische Wassermengen verschmutzt. 2015 wurden in Chile, das vor allem wegen Kupferproduktion- und Reserven das wichtigste Herkunftsland von Rohstoff-Importen für die deutsche Wirtschaft ist, 5,8 Millionen Tonnen Kupfer gefördert, wobei 700 bis 800 Millionen Tonnen zum Teil hochgiftiger Abraum entstanden sind. Diese unvorstellbare Menge an Gesteinsabfall wird auf riesigen Müllbergen oder in Giftmüllteichen, die oft ohne »Eigentümer« sind und sich damit der Verantwortung der Bergbaufirmen entziehen, abgeladen – für die extraktivistischen Länder eine Bürde für Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Diesen Realitäten stellen sich die globalen ökologischen Ungerechtigkeiten an die Seite. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung, die zum Großteil in den ärmsten und durch den Klimawandel am meisten betroffenen Ländern lebt, verursacht lediglich zehn Prozent der klimaschädlichen Emissionen, so eine Oxfam-Studie von 2015. Die reichsten 10 Prozent hingegen sind für rund die Hälfte der Emissionen verantwortlich. Der fossile Fußabdruck des reichsten Zehntels der Weltbevölkerung ist elf Mal so groß wie der von den ärmsten 50 Prozent und 60 Mal größer als der von den ärmsten zehn Prozent. Das reichste 1 Prozent ist schließlich sogar ganze 175 Mal klimaschädlicher als das untere Zehntel!

Als aufgeklärte Menschen wissen wir, dass diese Ökobilanz soziale Gründe hat. Das ein Prozent der Superreichen verfügt über mehr Reichtum als die restlichen 99 Prozent, auch das sagt uns Oxfam. 2015 hatten 62 Personen soviel Reichtum wie 3,6 Milliarden Menschen der armen Hälfte der Menschheit zusammen. Stieg der Reichtum dieser 62 Superreichen in den letzten fünf Jahren um 44 Prozent an, wurde die untere Hälfte um 41 Prozent ärmer. Ein Anstieg extremen Reichtums, der immer schneller abläuft, sich immer stärker konzentriert. Und damit auch die andere Seite des Reichtums, nämlich Macht verfestigt. Eine Macht, die Ungleichheit perpetuiert. Diese Ungleichheit, die hier nur kurz angeschnitten werden kann, hat viele zusätzliche Facetten, die dem Patriarchat und Rassismus geschuldet sind und der vorherrschenden, kapitalistischen Zivilisation entspringen.

Wir erleben eine Situation, die empörend ist. »In dieser globalisierten Welt besteht der übertriebene Überfluss neben extremer Knappheit, unermesslicher Reichtum neben erbärmlicher Armut«, schreibt Jürgen Schuldt, ein brillanter Ökonom aus Peru. Das konsumistische und zerstörerische Leben, das der Professor für Internationale Politik an der Universität Wien Ulrich Brand als »imperiale Lebensweise« bezeichnet und unter den Eliten im Norden und Süden weit verbreitet ist und damit das Handeln von Milliarden von Menschen anleitet, setzt das globale ökologische Gleichgewicht aufs Spiel und grenzt immer mehr Menschen von den (scheinbaren) Vorteilen des erwarteten (und unerreichbaren) Fortschrittes aus. Wir müssen eins endlich verstehen: Soziale Gleichheit, ein Leben in Harmonie mit der Erde und Kapitalismus schließen sich gegenseitig aus.

Darum sollte es uns auch egal sein, wenn wir als »pathetische Übertreiber« oder »Weltuntergangs-Alarmisten« bezeichnet werden. In unseren Ländern sind wir solche Worte durch diejenigen, die den Status quo verteidigen schon gewohnt. »Infantile Ökos«, »infantile Linke« oder »grün gewordene Trotzkisten«, so nennen uns in Südamerika einige progressive Regierungspolitiker. In dem Moment, in dem sie süchtig nach Macht und zu Dienern des extraktivistischen Kapitals geworden sind, haben sie auch ihre Fähigkeit des Nachdenkens und vernünftigen Arguments eingebüßt. In dieser Welt leben wir also, geschätzte Eva. Diese Welt ist es, die wir als Linke verändern müssen, wenn wir Menschen und Klima noch retten wollen.

Übersetzung: Benjamin Beutler

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