Gipfel der Gemaßregelten
Griechenland und seine Gäste bringen die europäische Austeritäts- und Sozialpolitik zurück auf die Agenda
Brexit, Flüchtlinge, Vorschau auf die mit Spannung erwartete Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nächste Woche in Straßburg oder auch der informelle EU-Gipfel am 16. September in Bratislava: Das sind die Themen, die das EU-Brüssel kurz nach der Sommerpause beschäftigen. Austeritätspolitik und ihre Auswirkungen auf das soziale Gefüge der davon betroffenen Gesellschaften? Fehlanzeige. Kein Thema. Nur auf Nachfrage. Und auch dann gibt es kaum Neues zu hören. Dass am Freitag genau zu diesem Thema ein Gipfeltreffen gleich mehrerer EU-Staats- und Regierungschefs in Athen stattfindet, geht ebenfalls unter - zumindest in Brüssel.
Anders in Paris. Dort macht die renommierte Tageszeitung »Le Monde« in ihrer Freitagsausgabe mit einem großen Foto des Athener Gastgebers auf ihrer Titelseite auf. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras wird mit einer der Kernaussagen aus seinem Interview zitiert, das »Le Monde« auf zwei Seiten abdruckt. »Es wird Zeit, dass Europa ein Signal sendet, um die Krise zu beenden.«
Dass gerade eine französische Zeitung so prominent auf das als »Südeuropa-Gipfel« bezeichnete Treffen hinweist, hat seinen Grund: Der französische Staatspräsident François Hollande war im August der erste der geladenen Gäste, der seine Teilnahme zusagte. Wie Griechenland will auch Frankreich eine andere Politik in Europa. Italien auch. Mehr Investitionen, mehr Geldfluss statt strikter Sparpolitik. Doch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten sich Hollande und der italienische Regierungschef Matteo Renzi im August nicht auf eine Kursänderung der Europapolitik verständigen können. Jetzt suchen beide den Schulterschluss mit Griechenland. Zusammen mit Portugal, Spanien, Zypern und Malta, die ebenfalls in Athen vertreten sein werden. Bis auf Malta und Frankreich also alles Länder, die schon mal Erfahrung mit scharfen Auflagen der EU zur Sanierung der öffentlichen Haushalte aufgrund aktueller Finanzkrisen machen durften. Diese Länder sollen ihre Stimme gegenüber Deutschland zu Gehör bringen, wird Tsipras weiter von »Le Monde« zitiert. Und für Griechenland selbst fordert der linke Politiker, dessen Regierung in jüngsten Umfragen deutlich an Zustimmung verloren hat, dass man in Europa die Anstrengungen seines Landes damit würdigen solle, ihm ein Teil seiner Schulden zu erlassen.
Ein solches Treffen mit solchen Forderungen würde zu anderen Zeiten vielleicht mehr Aufmerksam erzeugen in Brüssel. Wenn zum Beispiel die Griechenland-Frage wieder einmal aktuell wäre, weil irgendwelche Auflagen drohen, nicht erfüllt zu werden. Aber seit der bislang letzten Aufregung darum kurz vor der Sommerpause scheint das Thema für die EU erst einmal geregelt.
Immerhin verweist Udo Bullmann, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD im Europaparlament, darauf, dass seine Partei »seit Jahren für eine Abkehr von der einseitigen Kürzungspolitik« kämpfe. »Wir brauchen Impulse für Wachstum und neue Jobs gegen die extrem hohe Arbeitslosigkeit in der Eurozone«, teilt Bullmann auf nd-Anfrage mit.
Solche Impulse würden aber von den »konservativen Fraktionen und Regierungen, vor allem der Bundesregierung«, geblockt, so der Europaabgeordnete Fabio De Masi (LINKE). Und dass die EU-Kommission plötzlich nachsichtiger geworden wäre, weil sie Spanien und Portugal wegen zu hoher Staatsdefizite jüngst keine Strafen auferlegt hatte, glaubt er nicht. Vielmehr sieht er Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dafür verantwortlich. »Er wollte dem konservativen Premier Spaniens und dessen korrupter Truppe helfen«, so De Masi. Griechenland dagegen werde weiter an der kurzen Leine gehalten, um der linken SYRIZA-Regierung keine Ruhe zu gönnen. »Neue Kredite werden auf alte Schulden getürmt und die Auszahlung verzögert, wenn nicht weiter gekürzt und privatisiert wird bis es kracht«, meint De Masi.
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