»Wir haben nichts Illegales getan«
Manuel Blanco droht in Griechenland eine Strafe, weil er Flüchtlinge gerettet hat. Von Ralf Streck
Der Spanier Manuel Blanco kann es nicht glauben, dass er als Feuerwehrmann ein bewaffneter Menschenschmuggler sein soll. Ihn und zwei Kollegen will die griechische Staatsanwaltschaft bis zu zehn Jahre hinter Gitter bringen. Seit 22 Jahren geht er seiner Berufung nach, »Menschen in Not zu helfen«, erklärt er im Gespräch mit dem »nd«. Seit 15 Jahren ist er Einsatzleiter und koordiniert verschiedenste Einsätze in der andalusischen Provinz Sevilla. Dass er bestraft werden soll, weil er sein Leben aufs Spiel setzte, um andere zu retten, geht dem sympathischen Südspanier nicht in den Kopf.
»Als die Bilder des Flüchtlingsdramas im vergangenen Herbst weltweit über die Bildschirme flimmerten, konnte ich nicht auf dem Sofa sitzen und zuschauen, wie Menschen vor der griechischen Insel Lesbos ertrinken«, sagt er. Mit Kollegen gründete er die Organisation ProemAid. »Feuerwehrleute, Rettungsschwimmer und Taucher bieten professionelle Nothilfe an und leisten humanitäre Hilfe bei Katastrophen und in Konflikten«, erläutert er deren Aufgaben.
Zunächst nahmen er und seine Kollegen im vergangenen Dezember Urlaub, um sich, ausgestattet mit einem Boot, als Vorhut auf den Weg zu machen. Abgesehen von einer Spende in Höhe von 1100 Euro finanzierten sie die Reise selbst. Die Route führte im Auto 4000 Kilometer am Mittelmeer entlang, durch Spanien, Frankreich, Italien und über die Balkanroute bis nach Griechenland. »Wir sind 58 Stunden fast ohne Unterbrechung abwechselnd gefahren.« In Piräus ging es noch für 14 Stunden auf eine Fähre nach Lesbos.
Auf der Fahrt verfolgten sie die dramatischen Ereignisse auf der Insel. »Wir bekamen mit, wie sich das Mittelmeer zum Friedhof verwandelte.« Sie wollten ohne eine Stunde zu verlieren dahin, wo sie angesichts überforderter lokaler Behörden besonders gebraucht wurden, erzählt der 46-Jährige. Es war eine schwierige Entscheidung, da seine Frau gerade schwanger war.
Nachdem man griechischen Behörden ihre Dienste angeboten und in Erfahrung gebracht hatte, wo Profis besonders benötigt werden, ging es los. Die erste Rettung sei umwerfend gewesen. Sie konnten nur ihr Sandkorn beitragen, sagt der Einsatzleiter bescheiden. »Man bekommt viel zurück, denn wenn man anderen hilft, hilft man gleichzeitig auch sich selbst.« Spuren hinterlasse nicht nur das, was nachts bei aufgewühlter See passiert: Menschen kämpfen im kalten Wasser ums Überleben, mit zum Teil gefälschten Rettungswesten, die sich vollsaugen und die Menschen nach unten ziehen. »Uns hat das humanitäre Drama mitgenommen, denn man fragt sich , was sie in ihrer Heimat zurückgelassen haben müssen, wenn sich ganze Familien auf diese gefährliche Überfahrt machen.« Die Arbeit mache gleichzeitig auch traurig, da nach der Rettung Tausende Kilometer Fußmarsch, Kälte und geschlossene Grenzen auf die Geflüchteten warten.
Ihre Rettungsmission hatte ein Ende, als Blanco und seine beiden Kollegen Enrique González und Julio Latorre Mitte Januar festgenommen wurden. Weil das Boot der Feuerwehrleute aus Sevilla zu dem Zeitpunkt in Reparatur war, steuerte der Einsatzleiter das Boot einer dänischen Organisation, der es an einer Besatzung fehlte. Als sie von der Küstenwache in Handschellen abgeführt wurden, staunten sie: »Wir dachten erst, dass sei ein Irrtum.« Doch dann wurde ihnen Menschenschmuggel und Waffenbesitz vorgeworfen. Erst nachdem unter internationalen Helfern 15 000 Euro gesammelt waren, kamen sie nach drei Tagen auf Kaution frei. Erklären kann sich Blanco die Anschuldigungen nicht. Die Küstenwache, mit der man kooperierte, habe nur erklärt, »das kommt von oben«. Noch zwei Tage zuvor hatte die Küstenwache sie aufgefordert, eine Rettung zu übernehmen.
Die Waffen sollen kleine Messer sein, Bestandteil ihrer Rettungsweste. Sie dienen dazu, Gurte oder Seile durchzuschneiden und seien in Spanien vorgeschrieben. Die drei warten nun in Spanien auf den Prozess, sind aber weiter aktiv. ProemAid hat eine Kampagne gestartet, um gegen die Kriminalisierung von Nothelfern zu mobilisieren. Und Blanco hofft, dass viele einen mehrsprachigen Appell unterzeichnen. Das haben schon 130 000 Menschen getan. Zudem werden Spenden gesammelt, um erneut aufbrechen zu können. Mit Blick auf die Lage in der Türkei rechnet Blanco mit einer neuen Zuspitzung. »Wir verstecken uns nicht, denn wir haben nichts Illegales getan«, verweist er auf das Seerecht, das eine Seenotrettung vorschreibt.
Der spanischen Anwältin der Feuerwehrleute ist es wichtig, Öffentlichkeit herzustellen. Paula Schmid Porras weist gegenüber dem »nd« darauf hin, dass die EU-Kommission nun die Richtlinie prüft, die es erlaubt, Nothelfer zu kriminalisieren. »Das betrifft nicht nur die drei und Griechenland, wie auch der Fall Cap Anamur in Italien gezeigt hat, als ähnliche Vorwürfe gegen zwei Deutsche erhoben wurden«, sagt sie. Beispiele gebe es etwa auch aus Dänemark. »Man kann nicht Menschenschmuggler und die Mafia in einen Sack mit Nothelfern werfen«, sagt sie. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, werde man bis zum Europäischen Menschengerichtshof gehen, kündigt die Anwältin an.
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