Hetzjagd in Bautzen: Polizei beschuldigt Geflüchtete
Großaufgebot an Beamten muss Asylheim vor Übergriffen durch Rechtsradikale beschützen / LINKEN-Abgeordnete Lay spricht von Pogromstimmung / Grüne fordern 24-Stunden-Bewachung gefährdeter Unterkünfte
In der Nacht zum Donnerstag haben in Bautzen Neonazis Jagd auf eine Gruppe Flüchtlinge gemacht. Wie die Polizei berichtet, war es zuvor auf dem Kornmarkt in der Innenstadt zu heftigen Auseinandersetzung gekommen. Gegen 21 Uhr hatte sich auf dem Platz eine Gruppe von etwa 80 jungen Personen, darunter zahlreiche bekannte, gewaltbereite Neonazis versammelt und rassistische Parolen skandiert. Unter anderem wurde gerufen, der Kornmarkt gehöre allein den Deutschen. Die skandierte Hetze galt einer Gruppe von etwa 20 minderjähriger Asylsuchenden, die sich ebenfalls auf dem Platz aufhielten.
Wie es heißt, habe sich die Lage bereits im Verlauf des Abends immer weiter zugespitzt. Zwischen beiden Gruppen kam es zu verbalen Auseinandersetzungen und Schlägereien. Als ein Großaufgebot von etwa 100 Polizisten schließlich am Kornmarkt eintraf, versuchten die Beamten beide Gruppe voneinander zu trennen und forderten alle Beteiligten auf, den Platz zu verlassen. Wie die Polizei berichtet, sollen aus der Gruppe der Asylsuchenden zunächst noch Flaschen und Holzlatten geworfen worden sein, ehe die Geflüchteten den Platz Richtung ihrer Unterkunft verließen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Am Freitag erklärte ein Sprecher der Polizei, die gewalttätigen Ausschreitungen seien von den Asylsuchenden ausgegangen.
Ein Mitglied der Initiative »Bautzen bleibt bunt« schildert die Ereignisse jedoch anders. Wie Andrea Kubank gegenüber dem Tagesspiegel berichtet, habe sie sich gemeinsam mit den Geflüchteten auf dem Kornmarkt aufgehalten und dabei beobachtet, wie sich immer mehr Rechtsradikale nur wenige Meter entfernt versammelten. Als die Polizei eintraf, habe diese die Asylsuchenden aufgefordert, den Kornmarkt zu verlassen. Als die Flüchtlinge sich weigerten, sei es dann zu Auseinandersetzungen gekommen. Kubank erklärt: »Die Eskalation ging von der Polizei aus.« Die Rechtsradikalen hätten die Situation ausgenutzt und seien auf die Geflüchteten zugestürzt. »Dann sind wir nur noch gerannt«, sagte Kubank dem Tagesspiegel.
Was nun folgte, entwickelte sich zu einer regelrechten Hetzjagd: Die Neonazis teilten sich in mehrere Gruppen auf, folgten den Asylsuchenden. Auf einem im Internet verbreiteten Video ist zu sehen, wie ein aufgebrachter Mob durch die Bautzner Innenstadt zieht und »Wir sind das Volk« brüllt.
Offensichtlich mit zu wenigen Beamten vor Ort, musste die Polizei sachsenweit weitere Einsatzkräfte alarmieren.
Informationen die Linksjugend Bautzen legen nahe, dass die Hetzjagd möglicherweise gezielt stattgefunden haben könnte. So sollen sich Mitglieder der rechtsradikalen Vereinigung »Brigade Halle/Saale« daran beteiligt haben. Die Neonazis halten sich mindestens seit dem vergangenen Wochenende in der Stadt auf. Am vergangenen Freitag hatte eine rechtsradikale Gruppierung mit dem Namen »Die Sachsen Demonstrationen« unter dem Motto »Bautzen war nie bunt, ist nicht bunt, wird nie bunt« mit einem Aufmarsch in der Innenstadt provoziert, woran die Brigade Halle teilnahm. Auch am vergangenen Freitag war es zu Jagdszenen auf Geflüchtete und linke Aktivisten gekommen, die gegen den rechten Aufmarsch protestierten.
»Dass gestern Abend so schnell so viele Neonazis zusammen kommen konnten, legt den Verdacht nahe, dass dieser rassistische Angriff gezielt geplant war«, vermutet deshalb auch die sächsische LINKEN-Bundestagsabegordnete Caren Lay. »Die Täter scheinen sich sehr sicher zu fühlen. Das ist das eigentlich Erschreckende!« Auf Twitter sprach die LINKEN-Politikerin zudem von einer »Pogromstimmung«. »Wann wacht man endlich auf in Bautzen? recht Gewalt nicht länger verharmlosen!« Dass es auch zu Übergriffen Geflüchteter auf die Polizei kam, ist zu verurteilen.
In der Nacht zum Donnerstag heizte sich die rassistische Stimmung immer weiter auf. Die Rechtsradikalen waren den Flüchtlingen bis zu ihrer Unterkunft in der Dresdner Straße gefolgt, wohin sich die Asylsuchenden gerettet hatten. Wie die Polizei berichtet, bildeten Einsatzkräfte eine Kette um das Heim und wehrten dadurch mögliche Übergriffe ab. Die Bewohner wurden aufgefordert, ihre Unterkunft nicht zu verlassen. Mehrere Dutzend Rechte hatte sich rund um das Gelände versammelt. Weitere Beamte wurden zusätzlich um die insgesamt drei anderen in Bautzen befindlichen Asylunterkünfte positioniert, um mögliche Ausschreitungen zu verhindern. Wie die Polizei auf einer Pressekonferenz erklärte, attackierten kleinere Gruppen auf Seiten der Rechten wiederholt auch Unbeteiligte. In der Innenstadt kam es zu Steinwürfen auf vorbeifahrende Autos.
Zu einem weiteren Übergriff durch die Neonazis kam es, als die Polizei einen Rettungswagen alarmierte, um einen 18-jährigen Heimbewohner mit Schnittverletzungen zu versorgen. Der junge Mann erklärte, die Wunde sei ihm durch einen Übergriff durch die Rechten zugefügt worden. Mehrere Rechtsradikale bewarfen das Fahrzeug mit Steinen, woraufhin die Sanitäter die Anfahrt zunächst abbrechen mussten. Erst unter massivem Polizeischutz erreichte der Rettungswagen in einem zweiten Versuch die Asylunterkunft. Platzverweise gegen die Täter gab es ebenso wenig wie Festnahmen. Gegen 2.30 Uhr beendeten die Beamten ihren Einsatz.
Der sächsische Grünen-Landeschef Jürgen Kasek reagierte via Twitter auf die Ereignisse: »Ihr habt lange nichts aus #Kaltland #Sachsen gehört? Nicht wundern: Menschenfeindlichkeit ist Normalität geworden. #failedstate.« Der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Valentin Lippmann, nannten die Vorgänge in Bautzen ein »Alarmsignal«. »Die offensichtlich gefestigten rechten Strukturen müssen endlich effektiv bekämpft werden«, forderte er. Lippmann verlangte zudem erneut eine 24-Stunden-Bewachung gefährdeter Asylunterkünfte durch die Polizei.
Am Donnerstag meldete sich auch Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) zu Wort: Er verurteile die Gewalt, egal von welcher Seite diese ausgegangen sei. Gleichzeitig verurteilte er jedoch wiederholte Versuche, auf eigene Faust für Ordnung in der Stadt zu sorgen. »Das Gewaltmonopol liegt in unserem Staat bei der Polizei – und daran gibt es keinen Deut zu rütteln.« Rechtsgerichtete Gruppierungen waren in der jüngeren Vergangenheit immer wieder als eine Art Bürgerwehr in der Stadt aufgetreten.
In Bautzen war es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Konflikten und Provokationen durch Rechtsradikalen gekommen. »Rechte Demonstrationen gegen Asylunterkünfte gibt es hier schon seit drei Jahren. Doch seit vergangenem Freitag protestieren Nazis jeden Abend«, erklärte Silvio Lang, Sprecher für Antifaschistische Politik in der LINKEN Sachsen gegenüber »nd«. Seitdem schaukle sich die Lage jeden Abend immer wieder hoch. »Die Polizei ist nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen«, kritisiert Lang.
»Bautzen darf jetzt nicht zum Wallfahrtsort der landes- und bundesweiten rechten Szene werden, mit denen die Bautzener rechte Szene gut vernetzt ist«, warnte der in der Kreisstadt lebende LINKE-Landtagsabgeordnete Heiko Kosel. Er habe den Eindruck, es gehe inzwischen darum, einen »national befreiten Kornmarkt« zu schaffen.
Auch am Donnerstag wollen Neonazi-Gruppe erneut in Bautzen aufmarschieren. So ruft im Internet die Gruppe »Widerstand Bischofswerda« für 20 Uhr zum Protest auf dem Holzmarkt auf. »Offensichtlich haben Nazis Bautzen als den Ort auserkoren, den sie mit ihren Parolen besetzen wollen. Der Anlass ist der vergangene Freitag, an dem sie gesehen haben, wie gut das funktioniert. Das hat sich relativ spontan entwickelt. Aber die Naziszene in Bautzen ist schon lange gut aufgestellt«, so Lang.
Die Polizei hatte sich bereits am Mittwochnachmittag besorgt über die zunehmende Gewalt geäußert und gegenseitige Provokationen von Flüchtlingen und Einheimischen dafür verantwortlich gemacht. Dabei spiele in den meisten Fällen Alkohol eine Rolle. In Bautzen wird deshalb seit Wochen über ein Alkoholverbot auf dem Kornmarkt debattiert.
Inzwischen hat sich auch das Operative Abwehrzentrum (OAZ) in die Ermittlungen eingeschaltet. Es werde derzeit Videomaterial ausgewertet, erklärte der stellvertretende Leiter der Polizeidirektion Görlitz, Klaus Mehlberg, am Donnerstag in Bautzen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs sowie gefährlicher Körperverletzung. Zahlreiche Personalien seien aufgenommen worden, eine Reihe von Personen der Polizei bereits bekannt.
Der für die Unterbringung der minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge zuständige Landkreis reagierte seinerseits mit ersten Maßnahmen. Vier Asylsuchende im Alter zwischen 15 und 20 Jahren wurden an andere Standorte gebracht, weil sie ihre Mitbewohner angeblich auf dem Kornmarkt aufgestachelt hätten. Außerdem gilt fortan ein Alkoholverbot und eine Ausgangssperre ab 19.00 Uhr für die etwa 30 Heimbewohner.
Im Februar hatten betrunkene Schaulustige und Rechtsradikale bei einem vorsätzlich gelegten Feuer in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft mit unverhohlener Freude zugesehen, einige behinderten die Löscharbeiten. Im März war Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Besuch in Bautzen beschimpft und beleidigt worden. Damals hatte er mit Bürgern über Flüchtlingspolitik diskutiert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.