Gefeiert wird nicht

Pro Asyl begeht sein 30. Jubiläum mit der Verleihung seines Menschenrechtspreises an einen eritreischen Priester

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 30. August 1983 sprang Cemal Altun aus einem Fenster im sechsten Stock des Westberliner Verwaltungsgerichts. Der 23-Jährige machte sich keine Illusionen darüber, dass die Verhandlung gut enden, er nicht in die Türkei abgeschoben werden würde, und das, obwohl er bereits eine Asylanerkennung in der Tasche hatte. Der linke Aktivist ließ Tausende Sympathisanten entsetzt zurück, eine Kampagne hatte sich europaweit gegen seine Auslieferung gewandt. Bei den Unterstützern, darunter Organisationen wie Amnesty international, Arbeiterwohlfahrt und Terre des hommes, wuchs das Gefühl, dass eine bundesweit agierende Organisation für die Verteidigung des Asylrechts dringend nötig wäre.

Cemal Altun, das erste bekannte Todesopfer bundesdeutscher Flüchtlingspolitik, war Teil einer Szenerie, die einen offenen Stimmungswandel in Westdeutschland anzeigte. 1980 stieg die Zahl rechtsextremistischer Übergriffe, die ersten Flüchtlingsheime brannten. Mehrere Gesetzesänderungen zielten auf eine Einschränkung des im Artikel 16 des Grundgesetzes verankerten Asylrechts. Helmut Kohl zog 1983 nach einem Wahlkampf ins Bundeskanzleramt ein, in dem er eine drastische Reduzierung der Ausländerzahlen versprochen hatte. Geplant war, jeden zweiten Türken abzuschieben. Ein Teil der Bevölkerung stimmte diesen Plänen zu und wählte die Union.

Ein anderer Teil machte seinen Widerspruch deutlich. Aus dem Unterstützerkreis für Cemal Altun formierte sich »Asyl in der Kirche« Berlin. Flüchtlingsräte in den meisten Bundesländern gründeten sich. 1985 schließlich, am 8. September, wurde die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl gegründet. »Die Frage war, wie wir die Probleme, denen wir regional überall begegneten, bundesweit angehen konnten«, sagt Heiko Kauffmann, als damaliger Mitarbeiter von Terre des hommes Mitbegründer und später Sprecher von Pro Asyl. »Es ging uns um ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis zum Erhalt des Artikel 16, gegen die Instrumentalisierung von Flüchtlingen, gegen den Missbrauch sozialer Ängste und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.«

Die Geschichte von Pro Asyl seither ist die Geschichte des Kampfes um ein ständig attackiertes Grundrecht in Deutschland. Jürgen Micksch übernimmt den Vorsitz, Günter Burkhardt die Geschäftsführung, Herbert Leuninger ist über die ersten Jahre Sprecher der Organisation. Der Tag des Flüchtlings wird ins Leben gerufen, Kampagnen werden gestartet, ein Förderverein gegründet, aus dem losen Zusammenschluss entsteht über die Jahre ein professionell arbeitender Verein.

Was dabei vor allem zu lernen ist, ist der Umgang mit Niederlagen. 1993 wird der Asylrechtsparagraf geschleift, zurück bleibt ein Rudiment. Zuvor war nach dem Anschluss der DDR eine Welle des Rassismus über das Land gerollt, wieder brannten Heime. Pro Asyl beginnt mit der Dokumentation von Einzelfällen, der Erstellung von Gutachten, strengt Musterklagen an. Nein, sagt Geschäftsführer Günter Burkhardt - bei Pro Asyl sehe man die politischen Debatten über Gesetzesverschärfungen, über Abschiebungserleichterungen oder die Einschränkung des Familiennachzugs nicht nur aus der Sicht der Flüchtlinge. »Es geht uns bei unserem Engagement auch um die Gesellschaft, in der wir leben, um die Menschenrechte, die erkämpft und immer wieder neu verteidigt werden müssen.« Seit die Europäische Union ihre Flüchtlingspolitik in gemeinsamen Richtlinien koordiniert, reicht Engagement in Deutschland nicht mehr aus. Zwei Jahre, nachdem Pro Asyl eine erste Dokumentation über unmenschliches Vorgehen griechischer Behörden gegenüber Flüchtlingen erarbeitet hat, stoppen deutsche Gerichte 2009 Abschiebungen in dieses Land. Später wird dieser »Überstellungsstopp« EU-weit ausgedehnt, auch dank der Klagen, die Pro Asyl unterstützt hat. Zehntausende sind es wohl, die so vor der Abschiebung bewahrt werden.

Der Kampf gleicht mitunter freilich dem Kampf gegen Windmühlen. 188 Flüchtlinge sind es inzwischen, die sich seit 1993 angesichts ihrer drohenden Abschiebung umbrachten oder beim Versuch starben, vor der Abschiebung zu fliehen, wie die Antirassistische Initiative Berlin dokumentierte. Im Mittelmeer starben allein seit Jahresbeginn über 3000 Menschen. In rechten Netzwerken wird Pro Asyl gleichwohl als Gutmenschen verlacht, als Perverse beschimpft. Die Beschimpften sehen hingegen keine Alternative zu ihrer Arbeit. Die Politik, ob schwarz-gelb oder rot-grün dominiert, schuf immer neue Gründe, sich zu Wort zu melden und Opfer, denen geholfen werden musste. Für die Flüchtlingsräte in den Bundesländern ist Pro Asyl unverzichtbare Plattform. Mit einer eigenen Stiftung hat sich der Verein eine langfristige Basis geschaffen. Die Professionalisierung stieg, in der Geschäftsstelle in Frankfurt am Main arbeiten nun rund zwei Dutzend Mitarbeiter. Immer, wenn die Bundesregierung ein Gesetz zu Asyl oder Migration entwirft, dauert es nicht lange, bis eine Bewertung von Pro Asyl vorliegt.

Diese bieten meist Anlass zur Widerrede. Mit begrenzter Wirkung. Doch Pro Asyl kann auch auf Erfolge verweisen. 2005 ist die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund ein solcher. 2015 verabschiedet der Bundestag ein Gesetz, in dem ein Bleiberecht für sogenannte Altfälle festgelegt ist. Jahrelang hatte Pro Asyl dafür geworben, allerdings ohne die Stichtagsregelung, die nun ein Bleiberecht nach acht Jahren einräumt.

Gefeiert wird das eigene Jubiläum übrigens nicht. »Es gibt wenig zu feiern, aber allen Grund unsere Energie in den Kampf für die Rechte von Flüchtlingen zu stecken«, so Burkhardt. Stattdessen wird man bei der Verleihung des Menschenrechtspreises von Pro Asyl am Samstag in Frankfurt in einer Gesprächsrunde an die 30 Jahre Flüchtlingsarbeit erinnern. Der Preis geht an einen eritreischen Priester in der Schweiz, der mit seinem privaten Notruftelefon in den letzten zehn Jahren mehreren Tausend Flüchtlingen zur Rettung verhalf.

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