Traum ist in der kleinsten Hütte

Schauspieler des Hexenkessel-Hoftheaters spielen bei freiem Eintritt Märchen für Junge und Alte

  • Almut Schröter
  • Lesedauer: 3 Min.
Roger Jahnke legt Holz nach. Die Kochmaschine kommt in Gang. »Kann mir gut vorstellen, warum man im polnischen Winter morgens schon Wodka braucht.« Aber nachmittags sei es gemütlich warm. Manchmal würden sie den Herd während der Vorstellung füttern, erzählt der Schauspieler. Sich selbst auch. Wird »Hase und Igel« gespielt, kann der 38-Jährige mindestens drei Möhren am Tag nagen. Jahnke ist fit. Dabei ist sonst für ihn als Komödianten des Hexenkessel-Hoftheaters der Sommer die große Zeit. Diesmal hält er sich über Winter »warm«.
Die Hexenkessel und Strand GmbH hat sich ein Haus gekauft. David Regehr, einer der Chefs, kam auf die Idee und überzeugte Regisseur Jan Zimmermann, sich etwas dafür einfallen zu lassen. Und Zimmermann, eigentlich in seinem traditionellen winterlichen Dialog mit Shakespeare versunken, entschied sich für Märchen. In Polen, nahe der ukrainischen Grenze, wurde das fünf mal zehn Meter große Blockhaus zerlegt, auf Sattelschlepper geladen, hergefahren und an der Auguststraße 68 in Mitte wieder zusammengesetzt. Im Galerieviertel, wo niemand solch einen Bau vermutet, steht sie nun - die Märchenhütte, wo jedermann bei freiem Eintritt reinschneien kann. »Im Kiez gibt es ja außer einem Puppentheater nichts für Kinder. Und wenn es kalt genug dafür ist, wird unsere Schneekanone angeworfen. Dann kann man hier rodeln, ob woanders Schnee liegt oder nicht.« In und an der Märchenhütte wird der Traum vom Winter wahr. Zunächst einmal bis Ende Januar.
Man könnte Märchen schlicht vorlesen, meint Zimmermann, die Leute wären zufrieden. »Diese Geschichten sind psychologisch überfrachtet und belehrend, aber mir liegt daran, ihren Witz herauszuarbeiten.« Dass Erwachsenen bei manchen Märchen, die Kinder arglos hinnehmen, Schauer über den Rücken laufen, wird ihm deutlicher, als ihm lieb ist, seit er sich näher mit den Erzählungen befasst. Schließlich waren diese Geschichten früher für Erwachsene gedacht. Das Märchenformat sei so etwas ähnliches wie RTL fürs Mittelalter gewesen. Wie kann man für Kinder Rotkäppchen zeigen?
»In der Märchenhütte werden die Stücke für Kinder wie für Erwachsene gleich gespielt«, sagt der Regisseur. »Nicht ganz«, grient Roger Jahnke. Der Regisseur ist schließlich nicht immer in den Abendvorstellungen. Ein bisschen künstlerische Freiheit nehmen sich die Komödianten also heraus. Doch im 14. gemeinsamen Jahr weiß Zimmermann, was er an den Schauspielern hat. Er muss ihnen nicht bis ins Kleinste erklären, wie er in 20 Theaterminuten punktgenau landen will. Bierdeckeltheater nennt er das. Wie bei den großen Inszenierungen flüstere ihm der Stoff zu, wie er gespielt werden will. Rotkäppchen hat es getan, Hans im Glück, Hase wie Igel, die Meerjungfrau. Mit Hänsel und Gretel ist er noch im Disput.
Roger Jahnke zeigt als Hase gemeinsam mit Torsten Schnier als Schweineigel die alte Wettbetrugsgeschichte, dass bis zu 60 Zuschauer Spaß haben. Türen und Fenster der Hütte spielen mit. Die Zuschauer werden in den Bann gezogen, ergreifen Partei, lassen den Hasen am Ende 73 Mal starten. »Natürlich kennen die Leute die Märchen. Sie wissen trotzdem nicht, was passieren wird«, sagt Jan Zimmermann, der für seine »Brüche« von Shakespeares Werken bekannt ist. Wer weiß, was er zu »Hamlet« ausklügelt. Das bringt dann der Sommer. Schnei'n oder nicht schnei'n ist jetzt die Frage.

Märchenhütte, Auguststr. 68, Mitte, Mi.-So. ab 16 Uhr, Infos über Hexenhotline 24 04 86 50, Internet: www.maerchenhuette.de
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal