- Berlin
- Solidarisch in Berlin
Notfalltraining im Kreißsaal
Teil 13 unserer Serie über Menschen in Berufen, die die Coronakrise besonders trifft
Im Wartezimmer sitzen zwei Schwangere und eine Begleitperson mit Mundnasenschutz, die leitende Hebamme Claudia Rheinbay öffnet schwungvoll die Tür zum Kreißsaal des Auguste-Victoria-Klinikums in Schöneberg. Dahinter ist es ruhig. Das Treffen konnte nur unter Vorbehalt stattfinden, denn wann ein Baby kommt, lässt sich bekanntlich nie exakt vorhersehen. Durchschnittlich gebe es in ihrem Kreißsaal fünf Geburten innerhalb von 24 Stunden, erzählt die von der Initiative »Herz und Mut« zur Hebamme des Jahres 2020 gekürte 56-Jährige.
Und die Pandemie? Elf Schwangere seien seit März vergangenen Jahres in ihrem Kreißsaal positiv auf das Coronavirus getestet worden, sagt Rheinbay. Niemand aus dem Krankenhaus habe sich bislang angesteckt. Darauf ist die Hebamme sichtlich stolz. »Wir fahren hier eine Kokon-Strategie«, erklärt sie. Das heißt, dass möglichst wenige Menschen auf Station kommen - Geschwisterkinder sind zum Beispiel nicht erlaubt. Bei der Anmeldung dürfen die Partner*innen nicht mitkommen, bei der Geburt können sie dann aber von Anfang an dabei sein. Nach der Geburt ist Besuch von einer festen Person für eine Stunde pro Tag erlaubt. Daneben gibt es Familienzimmer, in denen auch die Begleitperson übernachten kann.
»Mittlerweile führen wir bei Schwangeren, die in Richtung des errechneten Termins sind, zusätzlich alle drei Tage einen Rachenabstrich durch und einen Schnelltest vor der Geburt.« Dafür müssen die Gebärenden keine Maske tragen. »Bei der Geburt atmet die Schwangere sehr viel Aerosol in den Raum, doch jetzt weiß ich: Die Person ist nicht mit Corona infiziert«, erklärt die Kreißsaalchefin. Bevor es losgeht, wird sowohl bei der Schwangeren als auch bei der Begleitperson Fieber im Ohr gemessen. Außerdem müssen beide einen Screeningbogen ausfüllen. Begleitperson und Personal tragen bei der Geburt FFP2-Masken.
Inzwischen ist Claudia Rheinbay zweimal gegen das Coronavirus geimpft und auch ein Großteil ihrer Kolleg*innen. »Unsere Chefin hat sich dafür eingesetzt, dass wir in der Priorisierung nicht vergessen werden«, sagt sie. Das ist keineswegs die Norm. Deutschlandweit fordern der Deutsche Hebammenverband und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die Aufnahme von Hebammen und Gynäkolog*innen in die Coronavirus-Impfverordnung.
Die Angst vor dem Virus habe sie von Anfang an in positive Energie umwandeln wollen, erinnert sich Rheinbay: »Wir haben Notfalltrainings durchgeführt. Was mache ich, wenn eine hustende Patientin zu uns kommt, die sagt: ›Ich glaube, ich habe Wehen‹«? Für diesen Fall gibt es nun im Eingangsbereich einen mobilen Wagen mit Schutzkleidung, Kittel, Masken und Brillen. Diese Ausrüstung gehöre nicht zum normalen Alltag von Hebammen. »Deshalb mussten wir das trainieren. Die meisten Fehler passieren beim Ausziehen der Schutzkleidung«, erklärt Rheinbay.
Neben diesen Schutzmaßnahmen ist der erfahrenen Hebamme vor allem die Kommunikation wichtig. Am 18. März vergangenen Jahres veranstaltete sie den ersten digitalen Infoabend zur Pandemie. »Damals kamen verängstigte Schwangere - und auch Hebammen - auf uns zu, so dass wir für fünf Wochen jeden Tag um 12 Uhr ein Update gestreamt haben«, erzählt Rheinbay. Mittlerweile sei die Nachfrage wieder weniger geworden, doch noch immer bespiele ihr Team einen Instagram-Kanal mit wöchentlichen Updates.
»Mir ist wichtig: Wir haben alles geschützt gemacht und jetzt fokussieren wir uns und die Schwangere muss ›nur‹ ihr Kind kriegen.« Denn die Fragen blieben auch mit der Pandemie die gleichen. Positiv verändert habe sich indessen die Situation im Wochenbett, erklärt Claudia Rheinbay leicht verschmitzt: »Die Frauen sind nicht mehr bei Ikea, weil sie denken, sie müssen noch die Wickelkommode kaufen. Sondern sie bleiben zu Hause und gehen mit dem Kind spazieren.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.