Das große Fressen

Ernährung artet derzeit in Glaubenskrieg aus. Vor allem zulasten derer, denen Tier und Klima am Herzen liegen. Ein Plädoyer für Verantwortung. Von Björn Hayer

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 5 Min.

Glaubenskrieg über dem Teller, Genussverfechter und Biedermänner. Und alle reden über das Essen, das längst kein Privatvergnügen mehr ist, sondern Gegenstand einer erhitzten Debatte. Auf der einen Seite die Grillkönige und Jäger, auf der anderen die Tierethiker, Vegetarier und Veganer. Zwischen den Fronten herrscht inzwischen ein bösartiger Ton, der vor keinem Tabu mehr zurückschreckt.

Vor einiger Zeit verglich der vom ZDF als Ernährungsexperte angepriesene Gunter Frank im Mittagsmagazin Veganer und Vegetarier mit Nazis und IS-Terroristen. Abgesehen von der Drastik der Behauptung scheint sie auch inhaltlich schief: Denn wer würde wohl mehr das Töten vermeiden, wenn nicht Fleischverweigerer. Wohingegen in anderen Debatten solche Analogien sofort einen Aufschrei erzeugen, lässt die Moderatorin Christina von Ungern-Sternberg ihren Gast jedoch munter weiter seine kruden Thesen verbreiten: Eine aktuelle Studie der Universität Oxford, die eine Korrelation zwischen exzessivem Fleischkonsum und Klimawandel belegt, wird von Frank ohne jegliche Begründung als »ideologisch« abgewatscht. Was man am Stammtisch noch als bornierte Phrasendrescherei abtun könnte, gebärdet sich hier, und darin besteht der Skandal dieses Interviews, als unbezweifelbare wissenschaftliche Wahrheit.

Manch einem dürfte diese befremdliche Szene im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als kleiner Fauxpas und Ausrutscher in Sachen Qualitätsjournalismus vorkommen. Gleichwohl offenbart sich hierin ein weitaus größerer Brandherd. Die Frage, wer was warum essen kann, hat sich zu einer grundlegenden Gesellschaftsdiskussion ausgewachsen, die von allerlei Zuspitzungen geprägt ist. Nachdem immer mehr Menschen aus ethischen oder umweltspezifischen Gründen das Töten oder die Haltung von Tieren ablehnen, scheint sich in der Rhetorik der Vertreter konventioneller Ernährung ein immer offensiverer Ton bemerkbar zu machen. Genossen Tierschützer und -rechtler lange Achtung für ihre moralische Integrität, werden sie heute, wie zahllose Seiten im Netz dokumentieren, nicht selten belächelt oder diffamiert. Gesunde und bewusste Lebenshaltung wird zum religiösen Mantra aufgebauscht. Ein neuer Dämonismus zeigt sich am Werk. Dahinter tut sich das Unbehagen derer auf, die Angst vor Veränderungen haben. Sie halten an der althergebrachten Auffassung fest, dass Essen eine bloße Privatangelegenheit darstellt. Sobald allerdings die Zulieferer von McDonalds, KFC und anderer Fast-Food-Giganten in Dritte-Welt-Ländern riesige Flächen für Futtermittelpflanzen und Mastanlagen aufkaufen und dadurch sowohl die örtliche Bevölkerung oftmals um das letzte Hab und Gut bringen als auch das gesamte Klima belasten (Methanausstoß, enormer Wasserverbrauch, Monokulturen), ergeben sich Umweltfolgekosten. Manche davon sind jetzt schon für Überflutungen und Dürren zu bezahlen, andere werden sich in die Zukunft potenzieren. Eine Studie des Worldwatch-Instituts aus dem Jahr 2009 kommt sogar zu dem Ergebnis, dass 51 Prozent der schädlichen Klimaemissionen auf die Viehhaltung (inkl. Transport) zurückgehen. Was für eine Hausnummer, wenn man bedenkt, dass gerade Umweltpolitiker glauben, allein mit Windrädern und Photovoltaik die Probleme unserer Zeit lösen zu können.

Obgleich ein Großteil der Parteien die ehrliche Diskussion zur nötigen Umstellung der Nahrungsproduktion und -versorgung scheut, ist längst klar: Ernährung avanciert zum Politikum. Wer sein Billigschnitzel konsumiert, sollte wissen, dass er anderswo auf der Welt den Hunger indirekt verstärkt. Wie der »Compassion in World Farming Trust« in seiner bereits 2004 veröffentlichten Studie belegt, müssen manche sogenannte Nutztiere im Laufe ihres ohnehin zu kurzen Lebens bis zu 16 Kilo Getreide verzehren, um ein Kilo Fleisch herzugeben. Der Welthunger könnte erheblich minimiert werden, wenn die pflanzlichen Ressourcen direkt von den Menschen verzehrt würden.

Sind solcherlei Zusammenhänge nun Ideologie oder Logik? Gerade angesichts steigender Fleischnachfrage etwa in Asien ist die Lage durchaus ernst und sollte eine ernsthafte Auseinandersetzung in der Politik bedingen. Im Zentrum steht ein impliziter Generationenvertrag, dem zufolge die Erde unseren Kindern in einem ähnlichen Zustand zu hinterlassen sei, wie wir sie vorgefunden haben. Veganer und Vegetarier, Bioladen-Verfechter und Öko-Landwirte sind weder Nazis noch Fanatiker. Im Gegenteil: Sie sind höchst reflexiv.

Doch weiterhin nur auf den Verbraucher zu setzen und den Markt sich selbst regulieren zu lassen, wird zu keiner nachhaltigen Lösung führen. Auch staatliches Handeln muss auf eine Konversion der Verhältnisse ausgerichtet sein. Nur einige Beispiele: Sofort könnten die EU-Agrarsubventionen an die ökologische Fortschrittlichkeit eines Betriebs gebunden werden. In öffentlichen Kantinen könnte sofort mehr auf alternative und gesündere Ernährungsweise gesetzt werden. Obgleich die Widerstände dagegen enorm sein dürften, wäre ebenso über eine Steuer für Billigfleisch nachzudenken, um die besagten Umweltfolgekosten abzudecken. Ähnliches hat die Politik mit der Ökosteuer schließlich auch in die Tat umsetzen können. Denkverbote müssen gebrochen werden, allein der Zukunft wegen.

An der Frage der Ernährung wird der Wert unserer westlichen Moral zu messen sein. Denn wie human sich eine Gesellschaft zeigt, äußert sich insbesondere im Umgang mit ihren Mitwesen. Solange der Mensch sich noch als Krone der Schöpfung begreift, definiert er sich als Herrscher. Aber sollte die Differenz, was Intelligenz und Fortschrittlichkeit anbetrifft, wirklich maßgeblich dafür sein, welche Bedeutung oder eben fehlende Bedeutung wir einem anderen Geschöpf zuweisen? Und impliziert nicht gerade unsere Reflexivität eine Verpflichtung zur Verantwortung?

Den Tieren, so die utopische Imagination, ihre Autonomie zu verleihen, sollte jedoch kein karitativer Akt sein. Tierschutz bedeutet eben immer nur Tiergnade. Was führende Tierethiker stattdessen verstärkt fordern, sind verbindliche, juristische Regeln. Ob Schweine, Hasen oder Zootiere - ihnen allen steht aus dieser Sicht zu, dass ihnen als Subjekte per Gesetz unveräußerliche Rechte zustehen. Das mag für manchen zu weit gehen. Fakt ist jedoch, dass Tierschutz im Grundgesetz den Rang eines Staatsziels genießt, ohne dass bislang eine tief greifende Wirkung in der Gesellschaft zu verzeichnen gewesen wäre. Dieser Missstand sollte uns endlich zu denken geben. Denn Tiere haben kaum eine Lobby, weswegen sie der Stimme anderer bedürfen. Nicht für einen Glaubenskrieg, nicht einer Ideologie wegen. Allein die Würde der Existenz sollte unser Maßstab sein.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -