Ein zu düsteres Bild vom Osten
Streit um Bericht zum Stand der Deutschen Einheit
Der alljährliche Bericht zum Stand der Deutschen Einheit sorgte vor wenigen Tagen für ungewohntes Aufsehen. Grund war eine neue Schwerpunktsetzung. Statt, wie sonst üblich, auf das bereits Erreichte zu verweisen, sorgt sich die Bundesregierung angesichts der Zunahme fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Straftaten um die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands. Es bestehe die Gefahr, dass »die Chancen der Zuwanderung gerade dort verspielt werden, wo man aufgrund der demografischen Entwicklung in ganz besonderer Weise auf Zuzug angewiesen ist«, heißt es im Jahresbericht, den das Bundeskabinett in der letzten Woche beschlossen hatte. Die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), betonte zwar später, viele Ostdeutsche hätten die Geflüchteten mit offenen Armen aufgenommen. Stellte aber klar: »Man darf aber vor der Wahrheit, vor den nackten Fakten und Zahlen nicht die Augen verschließen - so unbequem das für manch einen auch sein mag.«
Am heutigen Freitag wird sich der Bundestag mit dem 100-seitigen Bericht befassen. Die Linksfraktion hat dazu einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem kritisiert wird, dass der Jahresbericht »ein einseitiges, düsteres Bild« vom Osten zeichne. »Selbstverständlich ist Ostdeutschland nicht flächendeckend in rechtsextremer Hand, aber die bislang viel zu häufig schweigende oder zu wenig wahrnehmbare zivilgesellschaftliche Mehrheit bedarf noch stärkerer Ermutigung, sich aktiv gegen fremdenfeindliches und rassistisches Gedankengut zu stellen«, heißt es in dem Antrag.
Zudem wird dort bemängelt, dass die Bundesregierung »zwar unzureichend einige Ursachen für die Wirtschaftsschwäche - den Niedriglohnbereich oder die alternde Gesellschaft Ostdeutschlands, sowie die kleinteilige Wirtschaftsstruktur« - benenne, aber ihre Vorschläge lediglich aus Modellprojekten oder verhältnismäßig kleinen Bundesprogrammen bestünden. »Strukturelle Veränderungen für eine starke ostdeutsche Wirtschaft sind damit ebenso nicht möglich und offenkundig kein Ziel der Bundesregierung.«
Ein Blick auf die Zahlen des Berichts zeigt, wie sehr der Osten zurückliegt. Beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr im Westen 39 270 Euro, sind es in den neuen Ländern nur 26 453 Euro. Eine Differenz von fast 13 000 Euro. Auch bei den Gehältern klafft eine große Lücke: Verdient ein Arbeitnehmer im Westen durchschnittlich 33 469 Euro brutto, sind es östlich der Elbe nur 26 827 Euro und damit 6642 Euro weniger. Deutlich werden die Verwerfungen auch beim Blick auf die Arbeitslosenzahlen. So sind mehr als 27 Prozent aller Arbeitslosen zwischen Rügen und Erzgebirge gemeldet. Dabei ist der Bevölkerungsanteil der neuen Länder auf 15,3 Prozent gesunken.
Angesichts dieser Zahlen drängt die Linksfraktion auf »eine langfristige Förderung strukturschwacher Regionen in Ost und West durch einen Solidarpakt III sowie eine finanzielle und thematische Ausweitung von Bundesprogrammen«. Tatsächlich graut vielen Politikern im Osten schon vor dem Auslaufen des Solidarpaktes II, der die fünf neuen Länder und Berlin mit zusätzlichen Steuermilliarden unterstützt. 2019 ist Schluss. Eine Nachfolgereglung gibt es bislang nicht. fal
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