Verzogen – abgeschoben

Die unglaubliche Geschichte einer Abschiebung von Berlin nach Kosovo

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.

Es klingt nach einer unglaublichen Geschichte. Am Donnerstag vergangener Woche folgt der 30-jährige Asylbewerber Vesel Veseli aus Kosovo einer Einladung der Ausländerbehörde am Standort Friedrich-Krause-Ufer. Er nimmt seinen Freund Ole Marg mit, so erzählt dieser es dem »nd«, denn Veseli hat ein ungutes Gefühl: Bereits in den frühen Morgenstunden hatte die Polizei fünf Kosovaren aus seiner Flüchtlingsunterkunft geholt – zur Abschiebung.

Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde sagte Marg, er solle fünf Minuten warten, dann werde er dazugeholt. Nach 20 Minuten informierte sie ihn, dass sich Veseli bereits auf dem Weg nach Kosovo befinde. Das Unglaubliche: Der Asylbewerber hatte laut eigener Aussage zu keinem Zeitpunkt Post vom BAMF erhalten – weder eine Einladung zur Anhörung über seine Fluchtgründe noch die Entscheidung über die Ablehnung seines Asylgesuchs.

Das »nd« fragte beim BAMF nach. Dessen Sprecherin Edith Avram sagte noch am Dienstag: »Die Einladung zur Anhörung am 14. März wurde zugestellt.« Da Veseli nicht erschienen sei, sich nicht entschuldigt und also nicht mitgewirkt habe, habe er ohne Anhörung abgeschoben werden können. Da Kosovo zudem zu den sicheren Herkunftsländern zählt, habe man sich gegen sein Asylgesuch entschieden.

Die Einladung und der Entscheid gingen jeweils ans AWO-Flüchtlingsheim in der Pankstraße – hier wohnte Veseli jedoch seit über einem Jahr nicht mehr. Er war einer der ersten Bewohner des im Mai 2015 eröffneten Heims in der Großcurthstraße in Buch. Warum gilt der Brief dann als »zugestellt«?
Nachfrage bei der AWO. Pressesprecherin Julika Krimphove sagt: »Es gibt kein Postzustellungsprotokoll, weshalb wir davon ausgehen, dass die Post des BAMF nicht angekommen ist. Sonst wäre der Posteingang entsprechend vermerkt und der Brief selbstverständlich umgehend an Herrn Veseli weitergegeben worden.«

Zugestellt oder nicht angekommen? Am Freitag dann kommt die Kehrtwende: »Die entsprechenden Schreiben konnten Herrn Veseli nicht zugestellt werden«, sagt BAMF-Sprecher Markus Riedl. Wie aber kann ein Brief als zugestellt gelten, wenn er ganz offiziell nicht zugestellt wurde? »Herr Veseli hatte es versäumt, seine Adressänderung dem Bundesamt mitzuteilen.« Dabei habe er entsprechende Belehrung bei Antragstellung auf Albanisch erhalten. Veseli bestreitet dies. »Das Bundesamt ist nicht verpflichtet, Adressen von Verzogenen zu ermitteln«, sagt Riedl weiter. »In solchen Fällen handelt das Bundesamt so, als ob die Schreiben den Antragsteller erreicht hätten.«

So, als ob? Wenn man mit Hans-Jürgen Dahler spricht, der für die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung in Marzahn-Hellersdorf sitzt, bekommt man den Eindruck, dass der Vorgang System hat. Auch Veseli hatte Dahlers Sprechstunde aufgesucht. »Ich habe hier jede Woche bis zu 40 Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten, die vor ihrem Ablehnungsbescheid keine Anhörung erhalten haben«, sagt Dahler. »Das ist gängige Praxis, obwohl es gegen die Verwaltungsvorschriften verstößt.« Es sei müßig und teilweise »nervig«, dagegen zu klagen, obwohl man bestimmt Recht bekäme. Nicht nur würden die Betroffenen meist sofort abgeschoben und seien dann schwerer erreichbar. Wegen der Regelung des sicheren Herkunftslands sei die Aussicht auf dauerhaften Erfolg zudem gering. Dahler sagt: »Das ist alles eine große Spinnerei.«

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