Pressefreiheit und Kapital - kein Traumpaar
Die Schließung der ungarischen Tageszeitung »Nepszabadsag« und deren ökonomische Hintergründe
Es ging schnell und schmerzvoll. Eine Eilmeldung des Eigentümers »Mediawork-PLT« verkündete am vergangenen Samstag die Schließung der ungarischen Tageszeitung »Nepszabadsag«. Gleichzeitig wurde Hausverbot über die Mitarbeiter verhängt, ihre E-Mail-Adressen und Dienst-Handys gesperrt. Seit Montag ist die Crème de la Crème des linksliberalen ungarischen Journalismus ohne Arbeit. Die Fäden im Hintergrund zog ein österreichischer Investor.
Die sozialdemokratische Oppositionspartei MSZP sprach von einem »schwarzen Tag in der Geschichte der ungarischen Medien« und Ex-Premier Ferenc Gyurcsány ließ verlauten, dass es sich um »eine der fiesesten Attacken gegen die ungarische Demokratie und Pressefreiheit« handelte. Die Mehrheit der deutsch- und englischsprachigen Medien folgte dieser Interpretation. »Orban lässt regierungskritisches Blatt schließen«, lauteten Überschriften.
Was in der Berichterstattung zur überfallartigen Schließung von »Nepszabadsag« nur am Rande vorkam, sind die wirtschaftlichen Hintergründe. Wer ist dieser österreichische Investor und wofür steht sein Unternehmen Vienna Capital Partners (VCP), das die Mehrheit an Mediaworks hält? VCP gehört zu den großen Investoren in Zentraleuropa. Gegründet 1998 von Heinrich Pecina, der sein Netzwerk als Manager der Creditanstalt-Investmentbank aufgebaut hatte, betreibt es Unternehmenskäufe in den Ländern des früheren RGW. Zu seinen Mega-Deals gehören der Teilverkauf des ungarischen Chemieriesen BorsodChem an die chinesische Wanhua-Gruppe und Akquisitionen in der Pharmabranche mit kroatischen, polnischen und österreichischen Betrieben. Im Jahr 2010 legte VCP einen Quantensprung hin, nachdem es Transaktionen im Wert von 1,5 Milliarden Euro durchführen konnte.
Auch Pecinas Medien-Portfolio kann sich sehen lassen. Zu ihm gehören u. a. die kroatische NCL-Media-Grupa (Zeitung »Nacional«), eine Beteiligung an der serbischen »Blic« und eben die ungarische Mediaworks, die im Oktober 2014 gegründet wurde und zu der eine Vielzahl von Regional-, Sport-, Frauen- und Modezeitschriften gehören. Und eben auch »Nepszabadsag«. Diese kam im Herbst 2015 an VCP-Mediaworks, nachdem die gemeinsame Ost-Holding des Axel-Springer-Verlags und des Schweizer Medienkonzerns Ringier im Frühsommer 2015 ihre Anteile aus kartellrechtlichen Gründen an VCP verkauft hatten. Zur selben Zeit übermachte auch die MSZP-Parteistiftung ihre 28-prozentige Sperrminorität dem österreichischen Investor. Das jetzige Klagelied über den Verlust der Pressefreiheit hätte man schon damals anstimmen können.
»Nepszabadsag« war Ungarns Regierung lästig; dies als Hauptgrund für die Schließung zu sehen, nimmt allerdings die Wirklichkeit auf dem Medienmarkt nur unzureichend wahr. Die linksliberale Tageszeitung war schlicht ein Verlustgeschäft. Und das seit Jahren. Die ehemalige Auflage von 600 000 ist zuletzt auf unter 40 000 geschrumpft. Seit 2007 riss sie ein Minus von 5 Milliarden Forint (16 Millionen Euro) in die Budgets seiner Eigentümer. Heinrich Pecina ist bestimmt nicht der Mann, der aus Liebe zum Qualitätsjournalismus Verluste einsteckt, schon gar nicht, wenn es sich um linksliberale Positionen handelt. Eher fühlt sich der 66-jährige Investor im rechten Milieu wohl. So arbeitet er u. a. mit Österreichs Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) zusammen, der erst vor wenigen Wochen aus dem elektronisch überwachten Hausarrest entlassen wurde, wohin ihn eine Verurteilung wegen Bestechung nach der Verbüßung einer Haftstrafe gebracht hatte. Auch der frühere ungarische Außenminister János Martonyi gehört zum Umfeld der VCP. Seine Politkarriere führte ihn vom Mitglied der Kommunisten über den Beauftragten für Privatisierungen zu Fidesz.
Das unrühmliche Ende von »Nepszabadsag« macht deutlich, dass Pressefreiheit und Kapitalherrschaft miteinander nicht kompatibel sind. Es gilt der ökonomische Primat. Dass dies im Fall von »Nepszabadsag« der Fidesz-Regierung gelegen kommt, ist wohl eher als Kollateralschaden zu beurteilen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.