»Unser Kampf muss ein jüdisch-arabischer sein«
Ayman Odeh über Versäumnisse und Chancen der israelischen Linken und die Rolle arabischer Vertreter in der Knesset
Die Gemeinsame Liste ist seit 2015 drittstärkste Kraft in der Knesset. Mit dem Ziel, eine weitere Netanjahu-Regierung zu verhindern, sind Sie allerdings gescheitert. Konnten Sie aus der Opposition heraus dennoch etwas erreichen?
Es bringt uns Hoffnung und das ist das Wichtigste in der Politik. Jetzt haben wir 13 Mandate, das nächste Mal 15, 16 oder 17. Dann können wir vielleicht eine rechte Mehrheit verhindern. In der Opposition kann man keine tatsächlichen Änderungen erwirken. Aber wir haben es geschafft, den Diskurs und das Bewusstsein ein Stück zu verändern. Man muss mit uns rechnen, mit einer Kraft, die wirklich links ist und die palästinensische Minderheit in Israel vertritt. Die Menschen in Israel wissen jetzt, dass wir eine nicht zu vernachlässigende Größe im politischen Spiel sind.
Erst kürzlich wurde ein Gesetz erlassen, dass es erlaubt, Abgeordnete zu suspendieren. Dabei ging es um Mitglieder der Gemeinsamen Liste. Der aktuelle Verteidigungsminister Avigdor Lieberman hat Ihnen im Wahlkampf nahegelegt, Sie sollten lieber in Ramallah kandidieren. Werden Sie im israelischen Parlament überhaupt als Akteur wahrgenommen, mit dem man reden kann?
Benjamin Netanjahu hat einmal gesagt, das eigentliche Problem seien nicht die Palästinenser in der Westbank, sondern die in Israel. Der Grund ist: Die Stimmen der arabischen Minderheit können ausschlaggebend sein und Machtfragen entscheiden. Der ehemalige Ministerpräsident Jitzchak Rabin hätte in den 90ern nicht ohne die Stimmen der Araber seinen Friedensplan durchsetzen können. Das erklärt die Hetze gegen uns und den Versuch, einzelne Mitglieder der Knesset durch eine Mehrheitsbestimmung auszuschließen. Aber ich versuche, das Positive zu sehen. Im Grunde zeigt das, dass wir potenziell Macht haben und, dass wir Teil des israelischen Friedenslagers sein können. Wir haben bisher nur wenige tausend jüdische Wähler, aber unser Potenzial unter der arabischen Minderheit in Israel ist noch weit größer als jetzt. Wenn wir die Menschen dazu kriegen, Hoffnung zu schöpfen und an die Wahlurnen zu gehen, dann können wir eine wichtige Rolle bei der Beendigung der rechten Hegemonie in Israel spielen.
Könnte das auch eine Koalition beispielsweise mit der Zionistischen Union bedeuten?
Wenn es darum geht, die rechte Regierung in Israel abzuwählen, dann müssen wir uns aktiv daran beteiligen, das Realität werden zu lassen. Ich kann das nur so andeuten, aber ich denke, das zeigt die Richtung, in die wir gehen würden.
Die Gemeinsame Liste besteht aus sozialistischen, säkularen, feministischen ebenso wie religiös-konservativen Kräften. Da scheint der gemeinsame Nenner auf den ersten Blick ziemlich klein.
Es ist wahr, es ist nicht einfach, es ist geradezu schwer. Aber es gab einen riesigen öffentlichen Druck, dass wir zusammenkommen und zusammenstehen. Diejenigen, die aus dem Bündnis austreten, werden große Schwierigkeiten mit der Öffentlichkeit bekommen. Das Bündnis ist eine Vernunftehe gegen das Erstarken von Rechtsaußen. Auf der parlamentarischen Ebene haben wir uns auf drei Grundsätze geeinigt: Frieden, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Das sind die Themen, die wir alle vertreten. Viele haben gesagt, unser Bündnis wird nicht lange halten. Aber wir sind heute trotz der großen Schwierigkeiten, die ich zugeben muss, immer noch eine einheitliche Fraktion. Und für mich sieht es nicht danach aus, als würden wir übermorgen schon zusammenbrechen.
Sie sind Angehöriger der palästinensischen Minderheit in Israel und leiten eine Fraktion, der radikale palästinensische Nationalisten angehören. Inwieweit können Sie die zionistische Idee und Israel als einen jüdischen Staat akzeptieren?
Erst einmal geht es darum, dass wir dieses ewige Gleichnis Juden gegen Araber einfach ablehnen. Wir sprechen für Juden und Araber, die gegen die Besatzung und für Gleichheit kämpfen. Von der zionistischen Idee halte ich grundsätzlich nicht viel. Zum einen lehne ich den Pessimismus der Idee ab, dass Antisemitismus eine ewige, nicht zu besiegende Kraft ist, so, dass Juden nicht mit anderen Völkern in Frieden leben können. Zum anderen kann ich natürlich als Palästinenser wenig mit Zionismus anfangen, weil für den zionistischen Traum ein Großteil unseres Volkes vertrieben wurde.
Trotzdem plädieren Sie für eine Zusammenarbeit mit zionistischen Parteien?
Wenn ich das über den Zionismus sage, bedeutet das keineswegs, dass wir nicht mit zionistischen Parteien zusammenarbeiten können, zugunsten beider Völker, und wichtige gemeinsame Ziele erreicht haben. Es bedeutet auch nicht, dass ich das Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Bevölkerungsmehrheit in Israel nicht anerkenne. Das tue ich sehr wohl. Gleichzeitig muss natürlich das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkannt werden. Deshalb sind wir für die zwei Staaten. In den besetzten Gebieten soll ein Palästinenserstaat gegründet werden. Israel bleibt der Staat Israel, wie wir ihn heute kennen, mit einer jüdischen Mehrheit und einer palästinensischen Minderheit. Und beide Staaten müssen demokratisch sein, mit gleichen Rechten für alle Staatsbürger im jeweiligen Staat.
Warum findet Ihr Bündnis bei jüdischen Wählern so wenig Anklang?
Ich glaube, das Problem ist ein Angstdiskurs. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man die Geschichte des 20. Jahrhunderts betrachtet und die Tatsache, dass der Zionismus die Juden mitten in die arabischen Welt geführt hat. Eine Welt, die sie als feindlich wahrnehmen und mitunter zu Recht. Dennoch muss unser Kampf für eine bessere Gesellschaft natürlich ein gemeinsamer jüdisch-arabischer Kampf sein, sonst kommen wir nicht weiter. Mein Vorbild ist Martin Luther King, weil der einen weiß-schwarzen Kampf geführt hat. Und dieser Kampf war erfolgreich. Malcolm X hat einen rein schwarzen Kampf geführt, der meiner Meinung nach weniger erfolgreich war.
Vor ein paar Jahren gab es in Israel große soziale Proteste. Warum ist diese Bewegung wieder eingeschlafen?
Erst einmal war das ein sehr wichtiger Protest. Und ich schlief am Rothschild-Boulevard vom ersten Tag an im Zelt. Da wurde der Diskurs um soziale Gerechtigkeit nach vielen Jahren des neoliberalen Hegemonialdiskurses wieder zum Leben erweckt. Das Problem dieser Proteste war, dass sie insgesamt unter dem Slogan stattgefunden haben: Wir wollen über Politik nicht reden. Doch natürlich ist die soziale Frage eine politische. Und es wird in Israel keine soziale Gerechtigkeit geben, so lange es die Besatzung gibt, das bedingt sich einfach.
Inwiefern?
Wenn man mehr Geld für den Sozialstaat ausgeben will, kann man nicht so viel in das Militär und den Siedlungsbau stecken. Deshalb muss man über Frieden und Gleichheit und soziale Gerechtigkeit sprechen, zugleich und zusammen gedacht. Das wurde bei den Protesten versäumt.
Viele jüdische Israelis haben wahrscheinlich kein Problem mit einer Zwei-Staaten-Lösung, befürchten aber, dass die momentanen Bedingungen - Mahmud Abbas als schwacher Präsident und kaum funktionierende Strukturen in den Palästinensergebieten - für Chaos und Gefahr sorgen könnten.
Als es mit Yassir Arafat einen starken Mann gab, hat man Frieden gemacht? Nein. Als es 2006 Wahlen gab und ein klares demokratisches Ergebnis, hat man Frieden gemacht? Nein. Abbas hat verhindert, dass in der Westbank Demonstrationen stattfinden, obwohl Israel drei Mal den Gazastreifen angegriffen hat. Trotzdem hat man keinen Frieden gemacht. Abbas ist eigentlich eine historische Chance, ein pragmatischer Mann, der an Frieden glaubt und eine Zwei-Staaten-Lösung will. Die Frage ist: Würde Netanjahu, wenn er sich den Palästinenserpräsidenten aussuchen dürfte, einem Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 zustimmen? Ich denke, das Haupthindernis einer Zwei-Staaten-Lösung ist die Regierung Israels.
Sie waren einige Tage in Deutschland und haben mit verschiedenen Abgeordneten gesprochen. Wie waren die Reaktionen auf Ihre Vorstellungen?
In der gesamten deutschen politischen Szene und Gesellschaft gibt es ein großes Verantwortungsgefühl gegenüber dem jüdischen Volk. Das halte ich für gesegnet und wichtig. Aber das hat auch dazu geführt, dass die Sensibilisierung gegenüber jüdischen Belangen mit einer kompletten Identifikation mit der israelischen Regierung gleichgesetzt wurde. Das finde ich unpassend. Gerade durch Netanjahu stellen die Menschen diesen Unterschied aber langsam fest. Die Bereitschaft, Kritik zu üben, ist dadurch gewachsen. Wenn wir als Delegation über die strukturelle Benachteiligung der palästinensischen Minderheit gesprochen haben, haben wir damit offene Türen eingerannt. Die Menschen wissen das und zwar in allen Parteien.
Was erwarten Sie von deutschen Politikern?
Ich sprach immer wieder an, dass Deutschland Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen sollte. Staaten haben andere Staaten einfach anzuerkennen. Das Existenzrecht Israels steht natürlich außer Frage. Es geht vielmehr darum, dass es von der israelischen Rechten das Verlangen gibt, von der Welt als jüdischer Staat anerkannt zu werden. Ich sage, die israelischen Bürger sollen innerhalb eines demokratischen Wettstreits entscheiden, wie sie ihr Land definieren. Auch dafür gab es Offenheit bei allen, mit denen wir gesprochen haben.
In der deutschen Linken ist dieses Thema sehr umstritten und führt zu Spaltungen. Können Sie das nachvollziehen?
Es gibt eine verständliche Sensibilität, was das Verhältnis Deutschlands zu den Juden betrifft. Und daraus folgen wahrscheinlich die Ambivalenz und die Streitereien innerhalb der deutschen Linken. Ich kann das gut nachvollziehen. Gleichzeitig sehe ich in Deutschland, dass man durch die Aufarbeitung von Verbrechen gestärkt aus der Vergangenheit hervorgehen kann. Mein Signal an die Linke weltweit wäre, dass sie für Gleichheit und Frieden stehen sollte und in diesem Sinne für eine Zwei-Staaten-Lösung. Denn diese Lösung entspricht beiden Völkern. Und für mich ist auch klar: Gegenüber einem Politiker wie Netanjahu muss man ganz klare Positionen beziehen. Ein Mann, der in Israel harte neoliberale Politik betreibt und Verbündete innerhalb der rechten Konservativen in Amerika hat, kann mitnichten eine Identifikationsfigur für Linke sein.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.