Der Verkaufs-Marathon
Karl-Erivan Haub investiert lieber in hippe Start-ups als in die Geschäfte von Kaiser’s Tengelmann
Vor fünf Jahren ist Karl-Erivan Haub von dem Magazin »Focus« nach seiner Lebensweisheit gefragt worden. »Haben kommt von Halten!« verkündete er damals. Soweit die Theorie. Praktisch versucht der Tengelmann-Eigentümer seit nunmehr zwei Jahren, die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann loszuwerden. Sein Wunschkäufer: Edeka. Das Kartellamt hat dazu Nein gesagt, doch Haub blieb stur. Und so begann ein Wirtschaftskrimi mit dem Kartellamt, Bundeswirtschaftsminister Gabriel, dem Oberlandesgericht Düsseldorf, der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und »Runden Tischen« in Nebenrollen. Die Hauptrollen haben Karl-Erivan Haub, der Edeka-Chef Markus Mosa und, als vermeintlich böser Bube, der Rewe-Boss Alain Caparros inne.
Aktuell hat sich Tengelmann mit der Discount-Kette Norma und dem Handelsunternehmen Markant darauf geeinigt, dass die beiden Firmen ihre Beschwerde gegen die von Sigmar Gabriel erteilte Ministererlaubnis zurücknehmen. Offiziell wollen Norma und Markant ihrer »sozialen Verantwortung« gerecht werden. Tengelmann und Edeka dürften den beiden Unternehmen allerdings auch eine finanzielle Entschädigung und/oder geschäftliche Vorteile versprochen haben. Nun steht also nur noch Rewe der Kaiser’s-Tengelmann-Übernahme durch Edeka im Weg.
Rewe bekräftigte am Montag das Ziel, die Supermarktkette komplett zu übernehmen oder für eine »faire Aufteilung« zur Verfügung zu stehen. Dagegen hatte sich Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub bisher immer gewehrt, eine Aufteilung würde rechtliche Probleme mit sich bringen und zu lange dauern. Er will die defizitäre Supermarktkette schnellstmöglich loswerden.
Ein genauerer Blick auf Haub und die Tengelmann-Unternehmensgruppe lohnt sich im Zusammenhang mit dem Übernahme-Hickhack. Immer wieder präsentiert sich Haub als von den Verlusten der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann Getriebener. Bis zu zehn Millionen Euro minus machen die Supermärkte nach seinen Angaben im Monat. Für das kommende Jahr rechnet man mit noch höheren Verlusten. Allerdings hat die Unternehmensgruppe auch gewinnbringende Beteiligungen und Töchter.
Tengelmann, das ist längst nicht nur die Supermarktkette. Am Baumarktriesen Obi hält das Unternehmen einen Anteil von 74 Prozent. Obi machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 5,5 Milliarden Euro, wie es im Tengelmann-Geschäftsbericht heißt. Am Textildiscounter Kik ist der Konzern mit 84 Prozent beteiligt. Kik erzielte zuletzt einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr stieg der Erlös um rund acht Prozent. Andere Sparten, in denen die Tengelmann-Gruppe aktiv ist, sind ein eigenes Immobilienunternehmen, diverse Onlinehändler und die »Ein-Euro-Shop«-Kette Tedi. Auch international ist Tengelmann vertreten, in den meisten europäischen Staaten über ihre in Deutschland bekannten Ketten. In den USA war man bis zum vergangenen Jahr mit der Supermarktkette A&P tätig. Ende 2015 wurden die Märkte geschlossen und die Insolvenz des Tochterunternehmens angemeldet.
Die Tengelmann-Gruppe gehörte über lange Zeit zu den größten Einzelhandelsunternehmen in der Bundesrepublik. Erivan Haub, der Vater von Karl-Erivan Haub, führte die Geschäfte des Unternehmens seit 1969. Er verwandelte den aus einer Supermarktkette und einer Schokoladenfabrik bestehenden Betrieb in den Konzern, wie man ihn heute kennt. Anfang der 1970er Jahre übernahm das Unternehmen Kaiser’s, 1972 gründete man den Discounter Plus. Der Einstieg in die Textilbranche und bei Obi folgten. Erivan Haub war auch ein Modernisierer in Umweltbelangen. Tengelmann gehörte zu den ersten Ketten, die umweltschädliche Produkte aus ihrem Sortiment verbannten. Auch der Tierschutz ist Haub Senior wichtig.
Erivan Haub und seine Familie schafften es auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt in die Top 100. Zum Jahr 2000 gab Haub der Ältere die Unternehmensführung mit 68 Jahren an seine Söhne Karl-Erivan und Christian ab. Letzterer leitet das Geschäft in Amerika. Bis zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2012 blieb Erivan Haub Vorsitzender des Beirats der Tengelmann-Gruppe. Seine Unternehmensanteile teilte er bereits 2008 auf. Aus 50 wurden sechs Prozent. Die Anteile der drei Söhne Karl-Erivan, Christian und Georg, der die Immobiliensparte der Unternehmensgruppe leitet, wurden von je 16,66 Prozent auf je 31,33 Prozent aufgestockt.
Die Haub-Familie gilt als CDU-nah. 1994 warb die Firma in Zeitungsanzeigen mit dem Slogan »Im Zweifelsfall für Kohl« für die Wahl des CDU-Politikers. 2005 und 2013 wurde mit den Slogans »Im Zweifel eine Frau« und »Im Zweifel für die Raute« für die Wahl Angela Merkels geworben. 2009 wurde das Engagement der Tengelmann-Besitzer mit einem Besuch der Bundeskanzlerin in der Unternehmenszentrale belohnt. Karl-Erivan Haub zeigte sich erfreut, »zum Kreis der Firmen« zu gehören, die von Angela Merkel besucht wurden. Außerdem sei sie damit die erste deutsche Regierungschefin in der, zu diesem Zeitpunkt 142-jährigen, Unternehmensgeschichte.
Bis zur Übernahmeschlacht um Kaiser’s Tengelmann war in den Medien nur selten etwas über Karl-Erivan zu lesen, er gilt als zurückhaltend. Nur wenige Interviews oder Porträts gibt es mit ihm und über ihn. Eines der politisch aussagekräftigsten gab er dem »Stern« im Jahr 2004, also mitten in der Debatte über Hartz IV und die Agenda 2010. Damals erklärte er, Deutschland sei »führungslos«, und die Deutschen müssten »Opfer bringen«. In den USA würden die Menschen nicht nach dem Staat rufen, in Deutschland hätten sie sich dagegen »selbst entmündigt«. Arbeitslosigkeit sei in Deutschland so lukrativ, dass Tengelmann Lehrstellen teilweise nicht besetzen könne. Dagegen gelte es etwas zu tun. Alte »Tugenden« wie »Ordnung, Pünktlichkeit und Fleiß« seien Werte und würden von den deutschen Familienunternehmen vorgelebt. Bei Tengelmann würde »Schlampigkeit« nicht zugelassen.
Die Zukunft des Unternehmens sah Karl-Erivan Haub im Jahr 2004 sehr positiv. Zwei Weltkriege habe man überstanden, da müsse man vor Unternehmenskrisen keine Angst haben. Im Jahr 2011 fragte das Magazin »Focus«, was ihm an sich selbst am besten gefalle. Die Antwort: »In Krisensituationen die Ruhe bewahren zu können.« Derzeit agiert Haub nicht gerade ruhig im Übernahmestreit.
In den vergangenen Wochen erklärte er beinahe täglich, dass er die Supermärkte nun einzeln veräußern werde. Ein offenes Gespräch mit dem Tengelmann-Chef führte der »Karrierecoach« und Marathonläufer Andreas Butz. Denn Haub läuft gerne Marathon. Der Unternehmenschef erzählt in dem Gespräch ein bisschen übers Laufen, kommt aber auch dabei nicht ohne Managerweisheiten aus. Zum Laufen habe ihn der ehemalige Pepis-Chef Donald Kendall animiert, als Haub zwölf Jahre alt war. Um sich zu motivieren, führe er Buch über seine Laufleistung, erklärt er. Außerdem sei sportliche Aktivität auch eine »Investition« in die eigene Zukunft. Die Lebensqualität in den letzten zehn bis 15 Jahren des Lebens würde damit erhöht.
Wenn es um Sport geht, spricht Haub über Selbstoptimierung. Die Tengelmann-Gruppe versucht er auf seine Weise zu optimieren. Bei Kaiser’s Tengelmann hat das Unternehmen seit Jahren nicht in Neuerungen investiert. 2008 eröffnete das Unternehmen noch einen »Klimamarkt«. Der nutzt Solarenergie und Tageslicht, geheizt wird mit Ab- und Erdwärme. Tengelmann schien sich auf seine ökologische Tradition zu besinnen. Doch über den »Klimamarkt« berichtete Tengelmann im Jahr 2011 zum letzten Mal auf seiner Homepage. Auch Nachhaltigkeitsberichte des Konzerns gab es nur bis zum Jahr 2013.
In den Geschäftsberichten der Tengelmann-Gruppe wimmelt es von warmen Worten über »Nachhaltigkeit als Leitmotiv«. Die soll für Umwelt, Tiere und Menschen gelten. Jedoch geht es etwa beim Tochterunternehmen Kik nicht immer nachhaltig zu. Dem »Bündnis für nachhaltige Textilien« trat Kik erst im Sommer 2015 bei. Erst im vergangenen Monat, vier Jahre nach einer Brandkatastrophe mit 250 Toten in einer pakistanischen Textilfabrik, die für Kik produziert, erklärte sich das Unternehmen bereit, den Opfern und Hinterbliebenen Entschädigungen zu zahlen.
Die klassischen Unternehmenssegmente sind nicht das große Interesse von Haub. Der Unternehmenschef interessiert sich mehr für Investments im Onlinehandel. Mit babymarkt24.de hat das Unternehmen in diesem Bereich eine hundertprozentige Tochter mit einem Umsatz von 74,6 Millionen Euro, die wächst. Über »Tengelmann Ventures« und die US-amerikanische »Emil Capital Partners« sieht sich der Konzern immer stärker als Investor für Start-ups. An mehr als 40 sehr unterschiedlichen Unternehmen ist der Konzern beteiligt. Darunter sind bekannte Firmen wie der Onlinehändler Zalando und die umstrittene Mitfahrplattform Uber. Aber auch völlig unbekannte Unternehmen. Vergangenes Jahr machten die Start-ups der Unternehmensgruppe zusammen einen Umsatz von 1,9 Milliarden Euro.
Karl-Erivan Haub und sein Bruder Christian haben eine Entscheidung getroffen. Für sie hat der traditionelle Lebensmitteleinzelhandel keine Zukunft mehr. Neben erfolgreichen Ketten wie Obi und Kik setzen sie auf Wagniskapitalanlagen. Dabei haben sie sich breit aufgestellt, agieren quasi in der Tradition ihres Vaters, der die Beteiligungen der Firma vor Jahren auch auf unterschiedlichste Segmente aufteilte. Möglicherweise handeln die Haub-Brüder unternehmerisch klug. Doch dass sich Karl-Erivan Haub regelmäßig so äußert, als sei sein Unternehmen dem Untergang geweiht, wenn er nicht schnell Kaiser’s Tengelmann verkaufen kann, wirkt unglaubwürdig. Wer Millionen für riskante Onlinebeteiligungen übrig hat, sollte auch in der Lage sein, den Verkauf der Supermarktkette zu einem vernünftigen Ende zu bringen.
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