Mindestlohn steigt ab Januar: Um 34 Cent
Kabinett beschließt erste Erhöhung seit Einführung der Lohnuntergrenze / LINKE kritisiert Anstieg als zu gering / Risiko der Altersarmut wächst
Berlin. Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland steigt ab Januar 2017 von derzeit 8,50 Euro auf 8,84 Euro je Stunde. Das beschloss das Kabinett am Mittwoch in Berlin. Es ist die erste Anpassung seit Einführung des bundesweiten Mindestlohnes 2015. Die Steigerung der Lohnuntergrenze um 34 Cent gilt für aktuell rund vier Millionen Jobs.
Die Erhöhung war im Juni von der Mindestlohnkommission empfohlen worden, die mit Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften sowie mit Wissenschaftlern besetzt ist. Der gesetzliche Mindestlohn richtet sich nach der Tarifentwicklung. Der Kommission zufolge stiegen die Löhne und Einkommen im Zeitraum von Januar 2015 bis zum Stichtag 30. Juni 2016 um vier Prozent. Die Regierung will den Beschluss nun als Rechtsverordnung umsetzen.
Zwei Jahre nach seiner Einführung sei der Mindestlohn gelebter Alltag, erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Für ArbeitnehmerInnen unter 18 Jahren und sogenannten Langzeitarbeitslose nach einer Arbeitsaufnahme in den ersten sechs Monaten gilt jedoch weder der alte Mindestlohn noch die jetzt beschlossene Erhöhung. Auch Azubis, Menschen mit Pflichtpraktikum oder Praktikum unter drei Monaten werden auf den »gelebten Alltag« von fairerer Bezahlung wohl noch warten müssen.
Die aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Thema dürften den Optimismus der Arbeitsministerin ebenfalls bremsen. Demnach galten vor Einführung des Mindestlohns 15,4 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet, danach 15,7 Prozent. Selbst wenn man die Flüchtlinge beiseite lasse und nur die Einwohner ohne Migrationshintergrund betrachte, seien nach Inkrafttreten des Mindestlohns ebenso viele Bürger arm gewesen wie zuvor.
Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Andrej Hunko wies in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Widerspruch hin: Laut Berechnungen der Bundesregierung wären 11,68 Euro Mindestlohn notwendig um Altersarmut effektiv zu verhindern. »Wo liegt der Fehler?« fragte der Parlamentarier auf Twitter.
Auch die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion meldete sich zu Wort: »Wer allen Ernstes glaubt, mit 34 Cent mehr Mindestlohn die Konsumnachfrage zu steigern, glaubt auch, dass soziale Gerechtigkeit vom Himmel fällt«, kommentiert Jutta Krellmann die Motivation der Komission.
Die Bundesregierung selbst warnte erst kürzlich in ihrem alle vier Jahre erscheinenden »Alterssicherungsbericht« vor einem wachsenden Risiko für Altersarmut. Insbesondere GeringverdienerInnen seien bedroht: »Wird in diesem Einkommensbereich nicht zusätzlich für das Alter vorgesorgt, steigt das Risiko der Bedürftigkeit im Alter stark an«, heißt es. Von welchen Einnahmen diese zusätzliche Vorsorge bestritten werden soll, ließ der Bericht indes im Unklaren.
Auch betrifft das Risiko der Altersarmut nicht alle in gleichem Maße. So haben Männer mit einem Alterseinkommen von netto durchschnittlich gut 1700 Euro monatlich fast 600 Euro mehr zu ihrer Verfügung als Frauen. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.