Feminismus und Redaktion
Jörg Meyer sinniert über das Ende einer Interviewserie
Am Anfang war eine Pressekonferenz: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) und die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Michaela Rosenberger, stellten eine Lohngleichheitsinitiative der Gewerkschaft vor. Gut zwei Handvoll Vertreterinnen und Vertreter der schreibenden Zunft waren anwesend, ich war der einzige Mann. Dabei sind die Kollegen Gewerkschaftsredakteure, die ich seit Jahren auf Gewerkschaftsveranstaltungen treffe, zu fast einhundert Prozent Männer. Es hat mich geärgert, dass zu einem prominent besetzten Gewerkschaftstermin sich nicht die entsprechenden Fachkräfte herablassen - ohne freilich den Kolleginnen, die dort waren, die Kompetenz absprechen zu wollen. Wie sagte es DGB-Vorstand Annelie Buntenbach im Interview sinngemäß: Das Thema gehört auf alle Seiten der Zeitung, nicht bloß auf die Frauenseite. Ergebnis des Ärgers sind neun Interviews mit Frauen, die seit Jahrzehnten auf Landes- und Bundesebene aktiv sind und sich für Gleichstellung einsetzen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Biografie der Frauen, die Frage nach dem Zusammenhang von Feminismus und Arbeit.
Ein Fazit? Schwierig. Der Anfang feministischen Denkens lag bei den Befragten in der eigenen Politisierung, spätestens beim Einstieg ins Arbeitsleben. Teilzeit, Lohnungleichheit, fehlende Aufstiegschancen und Rentenungleichheit sind die wiederkehrenden Themen - seit Jahrzehnten. Das ist keine bahnbrechende Erkenntnis. Sicher, es hat sich auch etwas verbessert. Die Quote in den Dax-Unternehmen wirkt ein bisschen, wenngleich sie noch nicht annähernd ausreicht: Der Großteil der Lohndiskriminierung geschieht in kleinen und mittleren Unternehmen. Und Frauen sind noch immer die Trägerinnen der Hauptlast, wenn es um Erziehung und häusliche Reproduktion geht.
Macht es Hoffnung, dass prominente Frauen wie die ver.di-Gewerkschaftsratsvorsitzende Monika Brandl oder Linksparteichefin Katja Kipping den Feminismus wieder im Aufwind sehen?Ja! Und nein. Der Kampf um Gleichberechtigung ist keiner der Frauen alleine. Solange ich als Mann denke, ich kann nur als Vollzeitbeschäftigter und Anhänger der möglichst langen Abendpräsenz im Büro meine Selbstverwirklichung erreichen, ist noch einiges zu tun. Solange nicht viel mehr Männer aus anerzogenen Strukturen ausbrechen und die häusliche Reproduktion als Bereich für sich selber sehen, ist noch einiges zu tun. Und so lange es Sprüche darüber zu hören gibt, ob es nichts Wichtigeres gebe, als schon wieder eine ganze Seite zum Thema Feminismus zu drucken, ist noch einiges zu tun. Den überfälligen Wandel im Denken und Handeln treiben nur alle Geschlechter zusammen voran, und davon gibt es - das noch nebenbei: mehr als zwei.
Alle Interviews der Serie unter: dasND.de/gewerkschafterin
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