Was heute kaum mehr jemand liest ...

Matthias Aumüller über Aufbau-Romane aus frühen DDR-Jahren

  • Christel Berger
  • Lesedauer: 2 Min.

Ältere werden sich noch an Anfänge der DDR-Romanliteratur erinnern können, als die Texte vom Aufbau eines Werkes, eines Betriebsteils oder nur einer wichtigen Maschine erzählten. Autoren solcher Bücher waren unter anderem Maria Langner, Karl Mundstock, aber auch Hans Marchwitza oder Eduard Claudius. Aufopferungsvoll widmeten sich in diesen Büchern die zumeist positiven Helden ihrer von der Partei gestellten Aufgabe. Manchmal hatten sie sogar ein Privatleben, wobei die Liebe zur Arbeit mit der Liebe zur Partnerin korrespondierte.

Gegenspieler des Unternehmens waren westliche Saboteure oder hoffnungslos Konservative, oft Altnazis. In der Literaturwissenschaft wurden die Romane später wegen ihres Schematismus etwas schamhaft als Kinderkrankheiten abgetan, während sich dann in den 60er Jahren eine eigenständige und weitaus interessantere DDR-Literatur herausgebildet habe.

Es ist wahr: Kein Mensch liest heute freiwillig diese Bücher. Doch der Germanist Matthias Aumüller hat es getan, mit großem Fleiß und Ernst. Er hat die Bücher, die mit ähnlichem Stoff auf dem Lande spielen, hinzugenommen und erkundet, wo ähnliche Sujets in späteren Texten vorkommen. So ist ein stattliches Werk von fast 400 Seiten entstanden, das die »Kinderkrankheiten« ernst nimmt und dabei Entdeckungen macht. Der Autor sieht die Wurzeln in der Sowjetliteratur, betrachtet Michail Scholochows »Neuland unterm Pflug«, Fjodor Gladkows »Zement« und Wassili Ashajews »Fern von Moskau« als die Muster, an denen sich die deutschen Pendants orientierten. Dabei kennzeichnet er einzelne Handlungsstränge - etwa das Aufbaumotiv, die private Sphäre oder die Sabotagehandlung - als ein dem Aufbauroman zugehöriges Subsystem und untersucht dessen Variationen von Buch zu Buch. Indem er genau analysiert, kommt er Veränderungen auf die Spur und kann dann berechtigt spätere Bücher, die Leser wie Literaturwissenschaftler nie zu den klassischen Aufbauromanen gezählt hätten, als kreative Fortsetzungen bzw. Weiterentwicklungen erkennen, etwa Erwin Strittmatters »Ole Bienkopp«, Erik Neutschs »Spur der Steine« sowie Anna Seghers’ »Entscheidung«. Einmal nimmt das Episodische zu, ein anderes Mal müssen die positiven Helden nicht unbedingt mehr auch moralisch »positiv« lieben oder es verschwindet gar die eindeutige Bewertung einer Figur.

Es überrascht, was Aumüller aus bisher nur übel beleumdeten Büchern herausliest. Sowohl für künftige literaturhistorische Darstellungen der DDR-Literatur dürften seine Thesen anregend sein als auch für angehende Germanisten, die für ihre literarische Analysen aus seinen akribischen Darstellungen etwas lernen können, auch wenn er dabei neuem Schematismus nicht ganz entgeht.

Matthias Aumüller: Minimalistische Poetik. Zur Ausdifferenzierung des Aufbausystems in der Romanliteratur der frühen DDR. Mentis Verlag. 391 S., br., 64 €.

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