Die CSU hat Recht
Ja, es geht um eine Richtungsentscheidung. Die Frage ist, in welche Richtung man will. Tom Strohschneider über den Leitantrag »Linksrutsch verhindern«
Die CSU macht eigentlich schon genug Schlagzeilen, die meisten davon lösen Reaktionen zwischen Verärgerung und Empörung aus: In ihrem Wettlauf mit AfD-Positionen hat die Bayern-Partei den politischen Diskurs nach rechts verschoben, die Rhetorik von Spaltung, Abwertung und rassistische Ausfälle auf diese Weise »normalisiert«. Die Rede von den Brandstiftern, sie trifft vor allem auf einige der Lautsprecher der CSU zu.
Es lohnt sich dennoch, den Leitantrag »Linksrutsch verhindern – Damit Deutschland Deutschland bleibt« ein bisschen genauer zu studieren. Denn dort finden sich nicht nur drollige Einschätzungen unter anderem zur Linkspartei, sondern auch eine Wahrheit, die auf der »anderen Seite« des politischen Raums vielleicht noch nicht richtig begriffen wurde: »Im nächsten Jahr steht Deutschland vor einer Richtungsentscheidung.«
Genau. Eine Entscheidung, die auch über den künftigen Kräfteverhältnisse in Europa entscheiden könnte. Eine, in der es um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Millionen geht. Eine, die den Unterschied ums Ganze macht. Wenn die Protagonisten es denn wollen. Um das zu sagen, muss man nicht die kritische Skepsis gegenüber dem tatsächlichen Veränderungspotenzial von Rot-Rot-Grün an der Garderobe abgeben. Es geht auch nicht darum, die Schwierigkeiten zu unterschlagen, die eine politische Formation links von Angela Merkel und eben jener CSU vor sich hätte. Und na klar, sie müsste dann auch erst einmal beweisen, dass sie den Unterschied machen kann.
Und hier kommt wieder der CSU-Leitantrag ins Spiel: Worin sich die Christsozialen selbst feiern, erkennt man »das Andere«, das im Interesse großer Teile der Bevölkerung zu überwinden wäre.
Zum Beispiel Schwarze Null ohne Steuererhöhungen - man könnte es auch einen den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Zukunftsinvestitionen zuwider laufenden Austeritätskurs nennen, der die offenkundige, und längst von vielen Experten als auch im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung kontraproduktiv kritisierte Einkommensungleichheit betoniert.
Zum Beispiel »Solidarität und Hilfe nur gegen Reformen« - so bejubelt die CSU die von Berlin aus orchestrierte Krisenpolitik in Europa, bei der von Solidarität nicht die Rede sein kann, weil es in Wahrheit um die Absicherung des exportnationalistischen deutschen Modells, um die europäische Verallgemeinerung von Politikmechanismen wie der Schuldenbremse und vor allem um eine Art von »Hilfe« geht, bei der vor allem eine Finanzwirtschaft auf Kosten der Allgemeinheit gestützt wurde, die zuvor fröhlich im Casino durchgedreht war.
Zum Beispiel das Eigenlob der CSU für »den höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung« und den »anhaltenden Tiefststand bei der Arbeitslosigkeit« - etwas, das zwar bei Betrachtung der offiziellen Statistiken so aussieht, aber zugleich unterschlägt, mit welchen gesellschaftlichen Folgen das verbunden ist: prekäre Jobs, schwache Reallohnentwicklung, Entgrenzung der Lohnarbeit usw. usf.
Schließlich, aber keineswegs zum Schluss: Dass ausgerechnet die CSU mit ihrer Anti-Asyl-Rhetorik, in der Politiker eine darauf geeichte Aufmerksamkeitsökonomie lautstark und bisweilen pöbelnd bedienen, sich die ehrenamtliche Solidarität gegenüber Geflüchteten als Leistung in die eigene Bilanz schreibt und sich sogar zu der Formulierung versteigt, »wir haben eine humanitäre Visitenkarte für ganz Deutschland abgegeben«, ist nicht nur ärgerlich, sondern ein weiterer Hinweis darauf, dass sie Recht haben die bürgerlichen Rechten aus Bayern: Es geht 2017 um eine Richtungsentscheidung.
Die CSU macht Front gegen »Multikulti«, deliriert sich in die Rückwärtsutopie der »deutschen Leitkultur«, wütet gegen eine Modernisierung der Familienpolitik, gegen weitergehende Gleichstellung und redet sich einen »grünen Umerziehungskosmos« herbei, in dem jeder Versuch, etwa Umverteilung durchzusetzen oder wenigstens die klimaschädliche Individualmobilität einzuschränken als Anti-Freiheits-Politik betrachtet wird - während die CSU jeden Tag selbst nach immer neuen Verboten, der Erweiterung staatlichen Zugriffs auf Bürger, Überwachung und neuen Grenzen ruft.
Wenn man den unlängst von Jürgen Habermas formulierten Gedanken ernst nehmen würde, dass gegen eine fortschreitende Rechtsentwicklung vor allem nötig ist, endlich »politische Gegensätze wieder kenntlich machen« - dann käme man zu jener demokratischen Polarisierung, die den Leuten klarmacht: Wenn ihr die wählt, dann fährt der Wagen in eine ganz andere Richtung.
Apropos Richtung. Dass die CSU im Jahr 2016 noch einmal mit der SED daherkommt, um die Linkspartei für gefährlich oder wenigstens nicht satisfaktionsfähig hinzustellen, (als ob man nicht auch im Sinne von Habermas die Debatte »um sachliche Gegensätze« führen könnte, nun ja: Das hat eher etwas Belustigendes) ist unterm Strich nur ein weiterer Beleg dafür, wie flach die politische Auseinandersetzung hierzulande meist ist. Mit der Anrufung der »politischen Enkel von Erich Honecker«, die »immer noch dieselben verbohrten Rezepte« verfolgen würden, »mit denen die SED die DDR abgewirtschaftet hatte«, sorgt man doch nicht einmal mehr in Bayern für die erhoffte Angst vor der roten Gefahr.
Ach, was würde man für eine Debatte über die politische Ökonomie der Bundesrepublik geben, über die sozialen Widersprüche, über die außenpolitischen Möglichkeiten, über die Zukunft und welche unterschiedlichen Modelle und Ideen es dafür gibt. Dass sie kaum stattfindet und wenn doch, dann praktisch kaum relevant wird, liegt aber nicht nur an der CSU.
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