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Anarchie der Eiersuche
Für Melanie Jaeger-Erben ist das Osterfest ein freudiges Durcheinander
Ostern naht – und für viele Menschen ist diese Zeit schon längst nicht mehr der Höhepunkt des kirchlichen Kalenders, sondern ein mit viel Goldpapier, bunten Plastikeiern und Hasenohr-Haarreifen verziertes Konsumritual. Wenn Jesus wüsste, dass seine Auferstehung heute in Form von saisonalen Limited Editions von Eierlikörpralinen zelebriert wird, er würde sich vermutlich gleich wieder ins Grab legen. Ostern ist längst kein christliches Hochfest mehr, sondern eine ideologische, wirtschaftliche und kulturelle Patchwork-Veranstaltung.
Weihnachten gilt in der Forschung als Paradebeispiel für ritualisierten Konsum im Spätkapitalismus. Ostern ist demgegenübern ein etwas ambivalenteres Konsumritual, das immer mehr auch ähnliche Funktionen erfüllt: die emotionale Stabilisierung und Reaffirmation sozialer Zugehörigkeit durch den Austausch symbolisch aufgeladener Waren und das gemeinsame Begehen von Konsumritualen.
Doch was feiern wir da eigentlich – und warum? Die christliche Erzählung der Auferstehung trifft auf keltisch-germanische Frühlingsrituale mit Hasen und Eiern als Fruchtbarkeitssymbole. Historisch wurde das Osterfest mehrfach umgedeutet und überformt – vom Frühlingsfest zur religiösen Feier, von der Huldigung der Fruchtbarkeit über das Gedenken an eine Auferstehung hin zu einer weiteren Gelegenheit, kitschige Dekogegenstände zu shoppen. Jedoch bleibt Ostern ambivalent und vor allem eines: hybrid. Wer sich fragt, wie ein römischer Foltertod, ein germanischer Hase und eine Schokoladenüberproduktion sinnvoll zusammenhängen, hat das System Ostern verstanden: nämlich gar nicht. Und das ist vielleicht seine größte Stärke.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
Während Weihnachten längst von der Harmonieideologie der heilen Familie gekapert wurde, hat sich Ostern eine gewisse Anarchie bewahrt. Kein Mensch weiß genau, was gefeiert wird – aber man feiert trotzdem. Irgendwas zwischen Jesus, Frühling, Eiersuche und »endlich wieder Grillen«.
In diesem Durcheinander liegt ein Potenzial: Ostern ist ein Fest, das sich der vollständigen Instrumentalisierung entzieht. Es hat keine eindeutige politische Besetzung, keine dogmatische Konsenssphäre. Es ist ein Fest der Verwirrung – und darin liegt seine Chance, denn Verwirrung ist der Feind der Totalität. Und dort, wo Bedeutungen ineinanderfließen, entsteht Raum für Kritik, Subversion – oder zumindest für kleine Risse im kulturellen Beton. Vielleicht ist es gerade diese Unentschiedenheit, die wir feiern sollten: Dass ausgerechnet ein Fest, das zwischen Kapitalismus, Christentum und Fruchtbarkeitskult schwankt, nicht beherrschbar ist.
Was wäre, wenn wir genau das mehr feiern? Nicht den Hasen, nicht den Heiland, sondern die Unaufgeräumtheit, die Mischung, das posthistorische Basteln an Sinn? Vielleicht braucht es gerade in Zeiten von marktförmiger, kulturindustrieller Monokultur solche Feste, an denen manche die Nintendo Switch im Garten zu verstecken versuchen und andere einfach nur selbstbemalte Eier – weil es eben um das Suchen geht und nicht ums Finden. Ein Fest, wo wir sowas verrückt Gesundes essen wie Grüne Soße. Wo nichts so richtig zusammenpasst – und deswegen alles möglich ist.
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