DNA, die auf seltsame Spuren lockt
Genetische Fingerabdrücke sind ein erprobtes Beweismittel, doch das Bundeskriminalamt nutzt sie nur höchst selektiv
Seit fünf Jahren häufen sich bei den Ermittlungen zum NSU Pannen und nicht verfolgte Spuren. Man mag kaum glauben, dass die besten Kriminalpolizisten und -techniker beisammen sind, um die Mordtaten, die Bombenanschläge und die Überfälle des NSU aufzuklären. Eher kommt einem der Begriff Sabotage in den Sinn - angesichts der Häufung von Merkwürdigkeiten.
Besonders deutlich wird das, wenn es um DNA-Spuren geht. Vor drei Wochen entdeckte man plötzlich eine DNA-Spur von Uwe Böhnhardt in unmittelbarer Nähe des Fundortes der seit 2001 verschwundenen Schülerin Peggy K. Grund genug, neue Ermittlungen über Neonazis und Kindesmissbrauch anzustellen. Vor einer Woche plötzlich hieß es, alles war ein Irrtum, Böhnhardts DNA sei durch Arbeitsmaterial der Thüringer Kriminaltechniker, die sowohl im Wohnmobil wie am Fundort von Peggy gearbeitet hatten, übertragen worden. Zwischen beiden Recherchen lagen allerdings über vier Jahre. Seltsame Zufälle gibt es. Die Zuständigen hatten mehrfach versichert, eine Spurenverunreinigung sei ausgeschlossen.
Es gab Grund, so nachdrücklich danach zu fragen. Im mutmaßlichen NSU-Mordfall Kiesewetter hatte die Polizei viele Monate ein Phantom durch halb Europa gejagt - bis sich herausstellte, dass die bei vielen unterschiedlichen Delikten analysierte DNA von einer Arbeiterin stammte, die die Wattestäbchen, mit der die Proben genommen werden, beim Verpacken berührt hatte.
Ganz anders ist das mit den an den NSU-Mordstätten genommenen DNA-Spuren. Es sind Hunderte. Doch nicht eine passt zu Böhnhardt und Mundlos - keine Blutprobe, kein Speichel, keine Hautpartikel. Nichts.
Es gehört extreme kriminaltechnische Vorbildung dazu, will man einen Tatort so clean hinterlassen. Woher hatten Böhnhardt und Mundlos dieses Wissen? Und warum sind auch auf den benutzten Waffen weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren der mutmaßlichen Täter? Wenn man nicht extrem vorsichtig ist, dann hinterlässt man zumindest beim Füllen des Magazins Spuren. Doch die, die man auf Patronen überhaupt fand, hat die Polizei nie ordentlich durch die vorhandenen Dateien laufen lassen. Warum auch - man ging ja nicht einmal einer absolut augenscheinlichen Spur nach. Auf einer der Patronenschachteln stand »Siggi«. Echten Rechercheuren können da eine Idee kommen, die nach NRW führt. Dem BKA allerdings fehlten dazu offenbar Adresse, Telefonnummer und Kaufquittung dieses »Siggi«. Ginge man der Spur nach, so könnte man unter anderem in Dortmund auf Gruppierungen von »Combat 18«, der militanten Organisation von Blood&Honour stoßen.
Viele DNA-Spuren hat man gar nicht erst zu Vergleichen herangezogen, um etwas zu bestätigen oder auszuschließen. Noch immer weiß man nicht, wem die Kinder-, die Spiel- und zahlreichen anderen Sachen gehören, mit denen die beiden angeblichen Selbstmörder auf Tour zu ihrem letzten Überfall gegangene waren. In dem Wohnmobil fand man ein paar Socken, an denen DNA von Beate Zschäpe festgestellt wurde. Und dazu eine zweite. Ein Vergleich in einer DNA-Datenbank führte dabei zu drei anderen Tatorten, an denen diese eine DNA gefunden wurde. Ein Bande von Litauern hatte dort Einbruch- und Eigentumsdelikte verübt.
Passt nicht, sagte das BKA und ließ ab von der Spur. Ohne daran zu denken, dass im Thüringer Raum Nazis aus dem Umfeld des NSU gemeinsam mit Litauern einen Geldtransporter überfallen hatten, um mit dem Geld ein Bordell zu eröffnen.
Stolz präsentierte das BKA dagegen einen Spritzer Blut auf einer in der Zwickauer Wohnung gefundenen Jogginghose, bei dem es sich laut DNA-Auswertung um Blut der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter handelt. Doch der Fund taugt kaum als Beweis für die Täterschaft von Mundlos. Denn an der Hose fand sich keine DNA von ihm, wohl aber an zwei Tempo-Tüchern in den Taschen.
Auch belegt der kleine Spritzer nicht unbedingt, dass Mundlos geschossen hat. Denn der Schütze in Heilbronn muss weitaus mehr Blut des Opfers abbekommen haben. Zugleich belegen Zeugenaussagen, dass mehrere Täter - auch eine Frau - an dem Mord beteiligt waren.
Derartige Pannen belegen keineswegs, dass die beiden NSU-Terroristen etwa unschuldig sind. Sie weisen jedoch darauf hin, dass eine Reihe Mitglieder und Helfer des NSU unentdeckt sind. Wer darunter weitere V-Leute vermutet, liegt nicht falsch.
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