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Licht im Nebel neoliberaler Dogmatik

Rudolf Walther über die Geschäftspraktiken der Deutschen Bank, die Finanzkrise und die Theorien von Karl Marx

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Deutsche Bank, einstiger Leuchtturm, der deutschen Wirtschaft, wird zum Spielball von Spekulanten. Immer neue Gerüchte und Indiskretionen wecken Zweifel, ob das Institut überleben kann.« Das schrieb kürzlich der »Tagesspiegel«. Strafprozesse lassen erkennen, dass die Bank einem kriminellen Geschäftsmodell folgte, die gleichzeitig die Regierung in Berlin beriet. Was, wenn die Banker-Mafia »systemrelevant« würde? Ist der Kapitalismus dabei, sich selbst zu zerlegen? Gleichzeitig gibt es Indizien für eine Marx-Renaissance an Universitäten.

Was aber trägt Karl Marx zum Verständnis der Finanzkrise bei? Seine Theorien lichten den Nebel, den die neoliberale Dogmatik verbreitet. Dass Geld und Kapital nicht nur das sind, was man in der Tasche oder auf dem Konto hat, sondern ein »Gesellschaftsverhältnis« konstituieren, ist trivial. Geld und Kapital stellen - so Marx - »eine bestimmte Beziehung der Individuen zueinander« her. Nicht so trivial ist der Slogan, die Krise im Kredit- und Finanzwesen »schlage auf die Realwirtschaft durch«. Man hätte es also beim Finanzwesen mit Irrealem zu tun.

Das ist nicht falsch, aber was heißt das? Die Märkte für »Finanzprodukte« machen nach ihrer Deregulierung ein Vielfaches des Umfangs des weltweiten Marktes für Güter und Dienstleistungen aus. »Finanzprodukte«, also Eigentumstitel aller Art von der first class-Aktie bis zu den dubiosen Derivaten und Zertifikaten, sind nach Marx »papierene Duplikate des wirklichen Kapitals« bzw. »nominelle Repräsentanten nicht existierender Kapitale« - so wie der papierene Frachtbrief eine wirkliche Maschine eben nur repräsentiert, aber nicht verdoppelt. Der Frachtbrief und die Aktie verbürgen dem Eigentümer einen Rechtsanspruch, aber sie produzieren gar nichts.

Werden die »papierenen Duplikate« handelbar, kriegt das wirklich existierende Kapital, die Fabrik oder die Maschine, eine numinose, quasi-theologisch verbürgte Zweitexistenz als Börsenkurs. Aber »der Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht durch eine wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete« Einnahme bestimmt ist. Auf dem Markt für Papiere an der Börse wird nach Marx »Gewinnen und Verlieren (…) der Natur der Sache nach mehr und mehr Resultat des Spiels« wie gerade die Aktien der Deutschen Bank. Dieses Hasardspiel mit real existierenden Fiktionen ist »überhaupt die Mutter aller verrückten Formen« (Marx).

»Verrückt« ist wörtlich zu verstehen. Mit dem »improvisierten Reichtum« der »papierenen Duplikate« sollen die Schranken der realen Produktion von Gütern und Dienstleistungen - also die Zahl und Kaufkraft der Käufer/Konsumenten - überstiegen werden. Aber die Eigentumstitel von Autofabriken kaufen keine Autos. Geld und Kapital kennen keine Grenzen, sondern nur ihre profitable Verwertung, also die spekulative Selbstverwertung. »Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist Selbstzweck« und »maßlos.« Nach Marx werden Geld und Kapital zum »automatischen Subjekt« ihrer Vermehrung.

Diese und andere Formulierungen beförderten eine Lesart von Marx, die davon ausging, der Kapitalismus breche an seinen Widersprüchen dereinst automatisch zusammen. Selbst Theodor Adorno hielt es Ende der 1960er Jahre für eine »vernünftige Frage«, ob, »wie Marx lehrte, die kapitalistische Gesellschaft durch ihre eigene Dynamik zu ihrem Zusammenbruch getrieben wird«. Heute noch trifft man Linke, die das Glas heben und sich »ein gutes neues Jahr Finanzkrise« wünschen.

Marx verstand aber die Rede vom »automatischen Subjekt« kritisch, das heißt als realen Schein. Nur wenn man den kritischen Begriff ins Affirmative dreht, kann man auf einen automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus wegen sinkender Profiten oder allgemeiner Überproduktion setzen.

Solche Hoffnungen auf die Selbstzerstörung des Kapitalismus sind schon älteren Datums. Karl Kautsky (1854-1938) etwa vertrat die These, die »naturwüchsige Entwicklung des Kapitalismus« führe zwangsläufig zum Sozialismus. In diesem Sinne nannte er die SPD eine »revolutionäre, aber keine Revolutionen machende Partei«. Das lief auf eine ökonomistisch drapierte Entpolitisierung hinaus. Man spricht deshalb vom politischen Defizit der Vorkriegssozialdemokratie.

Um ein politisches Defizit geht es auch heute. Die antikapitalistische Bewegung ist klein und zersplittert. Gefragt sind jetzt Strategien für einen Systemwechsel oder wenigstens radikale Reformen.

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