Frau oder Mann - What the Fuck?!
In einer Castingshow sorgt eine tiefe Stimme, die zu einem Körper mit Brüsten gehört, für Geschlechterverwirrung
Yvonne Catterfeld muss es einfach wissen. Wer hat da eben gesungen? War es ein Mann oder eine Frau? Es interessiert die Sängerin nicht, ob der Mensch mit der tiefen Stimme in einer Band singt. Wieviel musikalische Erfahrung er oder sie mit sich bringt. Ob der Mensch ein Haustier hat. Nein: Wichtigste Frage zur Bewertung dieser Stimme ist das Geschlecht zu dem Körper, der sie hervorgebracht hat.
In der Pro7-Castingshow »The Voice of Germany« herrschte in der Ausgabe vom Donnerstag Geschlechterverwirrung. »Bist du jetzt eine Frau oder ein Mann?«, fragte die Jurorin Yvonne Catterfeld völlig verdattert, nachdem die 17-jährige Anna-Lena mit tiefer, ja ziemlich tiefer Stimme »Barfuß am Klavier« von AnnenMayKantereit gesungen hatte und sich die Juroren umgedreht hatten. Sie hatte in ihrem Vorstellungs-Clip schon gewarnt, dass die meisten Leute irritiert auf ihre Singstimme reagieren würden. »What the Fuck!?!« sei eigentlich der häufigste Ausruf.
Da ein Rock, relativ große Brüste und eine glitzernde Kette in den herrschenden Geschlechternormen wenigstens Hinweise darauf sein könnten, als welches Geschlecht Anna-Lena gelesen werden möchte, wiesen die anderen Juroren Catterfeld mit ihren geschockten Blicken auf ihren Fauxpas hin. »Wir haben ja noch nie darüber gesprochen«, versuchte sich Sänger Samu Haber an einer politisch korrekten Wendung, und fragte Catterfeld: »Aber was bist du eigentlich – ein Mann oder eine Frau?« Die Sängerin mit langen blonden Haaren greift noch tiefer ins zweigeschlechtlich-normative Klo. »Sieht man das denn nicht?!«, regte sie sich auf.
Nein, tut man eben nicht. Man sieht es nicht, man hört es nicht, man riecht es nicht. Schon der Philosoph und Soziologe Michel Foucault hat darauf hingewiesen, dass die angeblich so eindeutige Definition von Männern und Frauen über ihre Geschlechtsorgane in der Geschichte immer wieder umstritten war. Der Zwang, die Wahrheit über den Menschen ausgerechnet im Geschlecht zu suchen, ist nach Foucault erst in der Aufklärung entstanden. Und Judith Butler hat in ihrem Grundlagen-Werk »Das Unbehagen der Geschlechter« die kulturell-diskursive Produktion der Zweigeschlechtlichkeit eingehend auseinander genommen.
Dass viele Menschen sich nicht als das Geschlecht fühlen, das ihnen von ihren Eltern und den Ärzten bei der Geburt zugeschrieben wurde, ist ein alter Hut. Inzwischen müsste dank jahrelanger Proteste, dank neuer Lehrpläne für sexuelle Aufklärung und dank des mutigen Auftretens vieler Queers jedes Kind wissen, dass es in der Gesellschaft nicht nur zwei Geschlechter gibt.
Was viele nicht wissen: Auch in der medizinischen Forschung gibt es bislang keinen unumstrittenen »Beweis« für Männlichkeit oder Weiblichkeit. Es gibt Menschen mit so großen Kitzlern oder so kleinen Penissen, dass die Übergänge fließend sind. Es gibt Menschen mit Vagina und Bart, aber ohne Brüste, Menschen mit Penis und Brüsten, die gerne Kleider tragen. Der Biologe Heinz-Jürgen Voß weist in seinem Buch »Making Sex revisited« (2010) nach, dass selbst die Genforschung bis heute keine unumstrittenen Nachweise für Männlichkeit oder Weiblichkeit finden konnte. Demnach ist die Vorstellung einer eindeutigen Trennung von zwei Geschlechtern grundsätzlich das Ergebnis eines komplexen Prozesses gesellschaftlicher und kultureller Diskussionen. Die Kultur ist es, die in dem unendlichen biologischen Wirrwarr aus Genen, Chromosomen und Zellprozessen eine klare Grenze zieht.
Anna-Lena sagte zu Catterfelds Frage nichts. Was ihre Großeltern aus einem Kaff in der Nähe des tiefbayerischen Passau von dem Geschlechter-Wirrwarr halten, die das Publikum über die Kamera mit »Grüß Gott« begrüßten, wird sie wohl noch zu spüren bekommen. Sie entschied sich für das Team Samu.
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