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Evrim Sommer fällt bei Wahl in Lichtenberg durch

LINKE-Kandidatin für Bezirksbürgermeister-Posten in Berlin wurde nicht gewählt - Parteigremien wollen beraten

  • Marina Mai und Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Lichtenberger Linksfraktion brauchte am Freitag nach dem Wahldesaster vom Vorabend erstmal Abstand. »Wir wollen jetzt mit Ruhe und Besonnenheit die nächsten Schritte beraten«, sagte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Lichtenberg, Daniel Tietze, dem »neuen deutschland«. Dazu wolle sich die Fraktion am kommenden Montag zusammensetzen. Die Vorwürfe, die über die Medien vor und während der Wahlgänge zur Bezirksbürgermeisterwahl erhoben worden waren, hält die Linksfraktion für »substanzlos«.

Rückblende: Gleich zweimal scheiterte am späten Donnerstagabend die Wahl einer Bezirksbürgermeisterin in Lichtenberg. Die von der Linksfraktion nominierte Evrim Sommer bekam in beiden Wahlgängen nicht die notwendigen 28 Stimmen. Das war überraschend, denn ihre Wahl wurde nicht nur von ihrer eigenen Fraktion, sondern auch von SPD und Grünen unterstützt. Die Fraktionen kommen zusammen auf 35 Stimmen.

Die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte längst begonnen, Sommer war bereits nominiert und hatte sich den Fragen der Verordneten gestellt. Da platzte eine »rbb«-Meldung in die Debatte. Demnach soll Sommer ihren Lebenslauf geschönt haben. Laut »rbb« habe sie sich im Abgeordnetenhandbuch vom Mai 2015 sowie auf ihrer eigenen Homepage als Historikerin ausgegeben. Den akademischen Abschluss hatte sie allerdings erst am Vortag des Wahlaktes durch die Verteidigung ihrer Abschlussarbeit erworben, wie Sommer in der Debatte selbst einräumte.

Die Sitzung wurde im Anschluss auf Antrag der CDU für fast eine Stunde unterbrochen. Überall standen Grüppchen von Verordneten beieinander und debattierten. Was ist dran an den Vorwürfen? Ist Sommer als Bürgermeisterin tragbar? Sommer selbst hatte betont, das Studium für sich selbst, für die eigene Bildung, neben ihrer Abgeordnetentätigkeit absolviert zu haben.

Als die Sitzung fortgesetzt wurde, hatte jemand ein Exemplar des strittigen Abgeordnetenhandbuches auftreiben können und las daraus vor. Dort stand hinter dem Namen Evrim Sommer »Historikerin, Übersetzerin«. Ist das die Vortäuschung eines nicht erworbenen akademischen Titels? Die CDU sprach von einer »auslegungsbedürftigen Formulierung« und beantragte, die Wahl um eine Woche zu verschieben. Die Zeit wollte sie zur Klärung nutzen. Dem widersprachen Linkspartei, Grüne und SPD. Linksfraktionschef Daniel Tietze: »Die Vorwürfe sind ausgeräumt. Ich beantrage, die Wahl durchzuführen.«

Das Problem: Der Begriff »Historikerin« ist rechtlich nicht geschützt. Man darf sich nicht nur so nennen, wenn man ein Geschichtsstudium erfolgreich abgeschlossen hat, sondern auch wenn man sich zur Historikerin berufen fühlt. Juristisch besteht also wohl keine Straftat, wie es die erste Presseerklärung des »rbb« nahegelegt hatte. Aber: Politisch sauberes Agieren sieht anders aus. Und das wäre gerade in einem Bezirk geboten, in dem die AfD mit dem Rechtsaußen Wolfgang Hebold ins Bezirksamt einziehen will. Evrim Sommer hat immer in ihrer politischen Karriere und auch am Donnerstag gekonnt gegen Rechts ausgeteilt. Aber welchen Maßstab sollte man da an die eigene Glaubwürdigkeit anlegen?

Hinzu kommt: Nach Abschluss der BVV-Sitzung hat der »rbb« nachgelegt. Er zitiert aus einer mehr als ein Jahr alten Website des Abgeordnetenhauses. Dort steht zu Sommer »Ab 2007 Studium der Geschichte und Geschlechterstudien (Gender Studies) an der Humboldt-Universität zu Berlin und Bachelor of Arts (B.A.).« Wird hier nicht vielleicht doch ein akademischer Abschluss behauptet? Oder nennt Sommer nur, wie sie selbst sagt, den Studiengang, den sie damals absolvierte?

Im ersten Wahlgang stimmten 25 Verordnete für Sommer, drei weniger als nötig. Die Linkspartei setzte danach eine Auszeit an. Die Fraktion beriet sich. Tietze appellierte an sie, jetzt »keine Spielchen« mehr zu treiben. »Es geht jetzt nicht um persönliche Befindlichkeiten.« Eine Anspielung darauf, dass Sommer nur mit knapper Mehrheit überhaupt für die Spitzenkandidatur aufgestellt wurde. Viele Genossen hatten ihrem parteiinternen Gegenkandidaten Michael Grunst den Job eher zugetraut. Erst ein Machtwort der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch, einer Vertrauten von Sommer, hatte die Genossen für die 45-jährige gebürtige Kurdin eingenommen, die schließlich Spitzenkandidatin wurde.
Nach der eigenen Fraktion sprach Fraktionschef Tietze mit den Fraktionschefs von SPD und Grünen. Das gab ihm das Vertrauen, einen zweiten Wahlgang für Sommer anzusetzen. Schließlich hatten seinerzeit bei der Wahl von Birgit Monteiro und Andreas Geisel (beide SPD) in das Amt des Bezirksbürgermeisters ebenfalls Stimmen im ersten Wahlgang gefehlt. Wollte also einfach eine Gruppe die Standfestigkeit der LINKEN testen? Offenbar nicht.

Vielmehr haben die Fraktionschefs die Stimmung in ihren eigenen Fraktionen falsch eingeschätzt. Sommer bekam im zweiten Wahlgang sogar eine Stimme weniger als im ersten und elf weniger, als die drei Parteien zusammen zu vergeben hatten. Die Linkspartei verzichtete danach auf weitere Wahlgänge am selben Tag. Und weil ein Bezirksamt ohne Bürgermeisterin nicht arbeitsfähig ist, wurden auch die anderen Wahlen verschoben. Damit bleiben erst einmal auch die amtierenden Stadträte und Bezirksamtsmitglieder.

Evrim Sommer selbst war am Tag danach zunächst nicht zu erreichen. Als sie am Vorabend den Saal der Bezirksverordnetenversammlung verließ, kämpfte sie mit den Tränen. Das langjährige Abgeordnetenhausmitglied hatte vor über einem Jahr den Gang in die Bezirkspolitik angekündigt. Die profilierte Frauenpolitikerin hat aber auch in den eigenen Reihen nicht nur Unterstützung erfahren. Bei der Wahl zur Spitzenkandidatur erzielte sie ein sehr mäßiges Ergebnis, zuletzt schien die Unterstützung allerdings zuzunehmen.

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