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Alles hat seinen Sinn

Carel van Schaik und Kai Michel blättern im Tagebuch der Menschheit - eine Bibelexegese

Das Buch der Bücher, die Heilige Schrift des Juden- und Christentums, der ewige Weltbestseller mit einer geschätzten Gesamtauflage von fünf Milliarden, verehrt noch heute von über zwei Milliarden Menschen, gibt Auskunft über die Anfänge unserer Geschichte, wie wohl keine historische Quelle und kein archäologisches Artefakt es vermag. Davon jedenfalls sind Carel van Schaik und Kai Michel zutiefst überzeugt. Und dies belegen sie auch eindrucksvoll.


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* Carel van Schaik/Kai Michel: Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät. Rowohlt Verlag. 569 S., geb., 24,95 €.


Ein niederländischer Evolutionsbiologe und ein deutscher Historiker haben sich zusammengetan. Sie studierten die Bibel aufmerksam, nicht als Wort Gottes, sondern als »Tagebuch der Menschheit«. Sie entschlüsselten Metaphern, glichen die biblischen Geschichten mit historischem Wissen ab und präsentieren frappierende Erkenntnisse. Gewiss, dass die Sintflut ein verheerendes Naturereignis reflektiert, ist nicht neu; die Saga findet sich auch in anderen Kulturkreisen, so im Gilgamesch-Epos der Sumerer. Wie aber ist die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies zu deuten? Wegen eines Apfels? Das ist doch albern. Und warum erschlug Kain Abel? Aus Neid, Eifersucht? Was hat es mit der Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel und dem Untergang von Sodom und Gomorrha auf sich? Gottes Strafe für Hybris und Wollust? Musste Moses sein Volk aus Ägypten führen, um die Zehn Gebote zu empfangen?

In der Genesis jagt eine Katastrophe die andere. Es geht drunter und drüber. Doch: Alles hat seinen Sinn. Und letztlich stärkt die Bibel, mit säkularen Augen gelesen, menschliches Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Sie legt Zeugnis ab, wie die Menschen lernten, mit Schicksalsschlägen umzugehen und existenziellen Herausforderungen zu trotzen. Sie dokumentiert die Gabe des Homo sapiens zu kultureller Evolution und Revolutionen. So markiert die Geschichte von Kain und Abel den Übergang vom Nomadenleben als Jäger und Sammler zur Sesshaftwerdung, zu Ackerbau und Viehzucht sowie kluge Vorratshaltung. Historiker sprechen von der neolithischen Revolution, erstmals nachgewiesen für den »Fruchtbaren Halbmond« im Vorderen Orient zehntausend Jahre vor »Christi Geburt«. Mit Abels Tod kam auch das Übel über die Menschheit. »Die eigentumsbasierte Gesellschaft setzt Konkurrenz, Ungleichheit und Gewalt in die Welt. Darauf waren die Menschen nicht vorbereitet«, meinen Schaik/Michel.

Kain machte in der Fremde Karriere, sein Sohn Henoch gründete die erste Stadt. Der babylonische Turm auf dem Gemälde von Pieter Breughel d. Ä. erinnert nicht von ungefähr an die Zikkurate, die gestuften Tempelbauten in Mesopotamien. Die reichen, blühenden altorientalischen Stadtstaaten lockten Menschen von überall her an. Die Klassengesellschaft differenzierte sich weiter aus, Ausbeutungs- und Entrechtungsszenarien vervielfältigten und verfeinerten sich. Völker wurden unterworfen und versklavt. Zur Verhinderung von Willkür, Mord und Totschlag, zum Schutz der größer werdenden Reiche, vor allem zur Sicherung der Macht der Herrschenden, mussten Verhaltensnormen, Gesetze kodifiziert werden. Hier sei nur auf die Stele des Hammurapi von Susa verwiesen.

Wer in der DDR Geschichte studiert hat, dem wird vieles von dem, was Schaik/Michel berichten, vertraut vorkommen, auch wenn der Lehrplan der angehenden Historiker Bibelkunde nicht enthielt (das Manko füllte das Proseminar »Quellenkunde« nicht aus).

Weder Gott noch Moses haben die Fünf Bücher, den Pentateuch, geschrieben. Die Bibel ist ein »Hundert-Stimmen-Strom«, in über tausend Jahren niedergeschrieben. In das Buch der Bücher flossen Erfahrungen von Generationen. Es ist somit auch für Heiden und Atheisten spannend - ebenso wie die hiermit empfohlene Bibelexegese von Carel van Schaik und Kai Michel.

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