»Gelungene Integration«

Vor 70 Jahren stimmten in Hessen 76,9 Prozent der Wähler für ihre Landesverfassung

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So feiert man im etablierten Hessen das Sechs-Millionen-Land als Standort namhafter Industriekonzerne und Banken, als Drehkreuz des internationalen Luft- und Straßenverkehrs und als Beispiel gelungener Integrationspolitik. Das seit 1999 CDU-geführte Land galt über Jahrzehnte als sozialdemokratisches Musterland mit vorbildlicher sozialer Infrastruktur. Hessen nahm allein in den Nachkriegsjahren weit über eine Million Heimatvertriebene auf. »Wenn wir heute einen Ministerpräsidenten mit dem Familiennamen Bouffier und einen Stellvertreter mit dem Familiennamen Al-Wazir haben, dann können wir sagen: gelungene Integration«, scherzte Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner im Wiesbadener Landtag.

Stichtag für das Jubiläum ist der 1. Dezember 1946. An jenem Sonntag stimmten per Volksentscheid 76,9 Prozent der Wähler für den von einer Verfassungsgebenden Versammlung erstellten Entwurf. Die Landesverfassung war die erste ihrer Art im Nachkriegsdeutschland, die bis heute gültig ist.

»Hessen gab sich eine sozialistische Verfassung«, titelte der Wiesbadener Kurier am 3. Dezember 1946. Nachdem ein explosives Gemisch aus Faschismus, Militarismus und Kapitalismus in einer Katastrophe geendet hatte, kam darin die weit verbreitete Sehnsucht nach einem radikalen Neuanfang, nach Antifaschismus, nach Frieden und Ächtung des Krieges, nach sozialer Gerechtigkeit und der Beschränkung wirtschaftlicher Macht zum Ausdruck. Das Bekenntnis zum Recht auf Arbeit, zu existenzsichernden Löhnen, Bürgerversicherung, sozialer Gleichheit und Sicherheit, nach Gesundheitsschutz und gebührenfreier Bildung ist für abhängig Beschäftigte und Gewerkschaften ebenso ein wichtiger Bezugspunkt wie die progressive Besteuerung von Vermögen und Einkommen nach sozialen Gesichtspunkten.

Die Verfassung sieht explizit auch die Sozialisierung von Schlüsselindustrien vor. »Bei festgestelltem Missbrauch wirtschaftlicher Macht ist in der Regel die Entschädigung zu versagen«, so Artikel 39. Artikel 41, der die Sofortsozialisierung von Bergbau, Stahlerzeugung, Energiewirtschaft und Schienenverkehr vorsah, wurde in einer separaten Abstimmung von 72 Prozent der Wähler angenommen.

Ähnliche antikapitalistische Ansätze schlugen sich damals auch in den Verfassungen von Nordrhein-Westfalen und Bremen nieder. Der Sozialisierungsartikel 41 wurde nur in einem Falle recht zaghaft umgesetzt. So übernahm das Land nach langem Tauziehen 1955 die Mehrheitsanteile am Hochofenwerk der Buderus’schen Eisenwerke in Mittelhessen und zahlte dem Konzern dafür eine üppige Entschädigung von 15 Millionen DM. Buderus erhielt eine Sperrminorität von 26 Prozent. Später folgte die komplette Privatisierung. Das in Artikel 29 enthaltene von Aussperrungsverbot in Arbeitskämpfen wurde von hessischen Unternehmen in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach und in größerem Umfang missachtet.

»Zeigen Sie dem Landesamt für Verfassungsschutz mal, was alles in der Hessischen Verfassung steht, die fangen an zu rotieren«, brachte es der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann kürzlich bei einer Landtagsanhörung auf den Punkt.

Derzeit setzt das schwarz-grün regierte Hessen darauf, mit einer eigens einberufenen Enquete-Kommission alle systemkritischen Artikel zu entschärfen oder zu streichen. Bis 2018 soll ein gründlich geänderter Verfassungsentwurf vorliegen. »Wir täten besser daran, die Realität im Sinne der Verfassung zu verändern, anstatt die Verfassung den gesellschaftlichen Missständen anzupassen«, gab Linksfraktionschefin Janine Wissler am Mittwoch im Landtag zu bedenken. Bei der Entwicklung von Alternativen zum Kapitalismus sei diese Verfassung »kein Hindernis, sondern eine Verbündete«, betonte Wissler.

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