Immer mehr Bundesbürger sind überschuldet
Regierung zählt 4,1 Millionen Betroffene - Creditreform kommt gar auf 6,8 Millionen
In Deutschland sind immer mehr Menschen überschuldet. Dies geht aus dem Entwurf des neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor, aus dem »Bild« am Dienstag zitierte. Demnach galten 2015 rund 4,1 Millionen Personen oder zwei Millionen Haushalte als überschuldet. Damit stieg der Anteil der verschuldeten Erwachsenen von fünf Prozent im Jahr 2006 auf 6,1 Prozent im laufenden Jahr.
Dabei muss sich die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, die tatsächliche Lage zu beschönigen. So kam die private Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem »SchuldnerAtlas« kürzlich zu ganz anderen Ergebnissen: Am Stichtag 1. Oktober 2016 zählte Creditreform über 6,8 Millionen erwachsene Bürger, die überschuldet waren und »nachhaltige Zahlungsstörungen« aufwiesen. Dies waren rund 131 000 Personen mehr als 2015. Die Zahlen ergaben zudem, dass der Osten mit 10,43 Prozent eine höhere Überschuldungsquote hat als der Westen mit genau 10 Prozent. Alarmierend auch: Während die Fälle mit »geringer Überschuldungsintensität« rückläufig waren, nahmen die Fälle mit »hoher Überschuldungsintensität«, die vor Gericht landeten, dramatisch zu. Creditreform bilanzierte hier innerhalb eines Jahres ein Plus von fast sechs Prozent oder 220 000 Fällen.
Die Bundesregierung kennt die Statistiken der Wirtschaftsauskunftei und erwähnt sie auch im Berichtsentwurf. Trotzdem machte man sich weniger dramatischen Zahlen zu eigen. In dem Entwurf, der im Frühjahr 2017 als Armuts- und Reichtumsbericht veröffentlicht werden soll, wird auch auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur durchschnittlichen Schuldenhöhe verwiesen. Denen zufolge waren Personen, die Schuldner-Beratungsstellen aufsuchten, mit durchschnittlich rund 34 500 Euro verschuldet. »Das entsprach knapp dem 34-fachen ihres durchschnittlichen monatlichen Einkommens«, heißt es dazu im Entwurf, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Knapp 40 Prozent der beratenen Personen hatten demnach mehr als zehn Gläubiger, die größten von ihnen waren Kreditinstitute.
Arbeitslose und Niedriglöhner sind besonders gefährdet. In 20 Prozent der Fälle, in denen Betroffene zur Schuldnerberatung gingen, war Arbeitslosigkeit der Hauptauslöser. Fast die Hälfte der Betroffenen gab bei der Beratung an, ein monatliches Nettoeinkommen von unter 900 Euro zu beziehen. 84 Prozent verdienten weniger als 1500 Euro.
Die finanziellen Probleme ziehen auch gesundheitliche Folgen nach sich. In einer im Juni 2016 veröffentlichten Umfrage von Schuldnerberatungen gaben 40 Prozent der Klienten an, »wegen der Schuldensituation« krank geworden zu sein. Umgekehrt hatte jede zehnte Überschuldung ihre Ursache in einer Krankheit oder einem Unfall. Seiten 4 und 11
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