Dänen wollen ihre »kulturelle DNA« bewahren

Nach öffentlichen Debatten veröffentlicht das dänische Kulturministerium einen Wertekanon

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.

Was macht den Einwohner, den Menschen neben dir, den Nachbarn, den Kollegen zum Dänen? Diese Frage stellte der frühere dänische Kulturminister Bertel Haarder der Bevölkerung und rief sie auf, entsprechende Vorschläge zu machen. Wozu, könnte man fragen, wo doch das Königreich Dänemark auf eine über 1000-jährige Geschichte zurückblickt und sich seine Einwohner gerne als Nachfahren der legendären Wikinger bezeichnen.

Die Antwort ist in der jüngsten Geschichte zu suchen. Wachsende Einwanderung insbesondere aus muslimischen Ländern verändert die Bevölkerungszusammensetzung und setzt plötzlich Fragezeichen hinter Dingen, die früher als selbstverständlich galten. Als Katalysator wirkte dann die Flüchtlingskrise des Vorjahres, als das Gespenst der Masseneinwanderung plötzlich sehr real erschien.

Das Ministerium erhielt 2425 Vorschläge, die von sechs Experten in 20 Kategorien eingeteilt wurden, über die dann online abgestimmt werden konnte. 326 298 Stimmen wurden abgegeben, eine Zahl die zeigt, dass das Thema durchaus auf Interesse in der Bevölkerung stieß.

2004 hatte es bereits den Versuch gegeben, über einen dänischen Literaturkanon Einigkeit zu erzielen. Welche dänischen Schriftsteller sollten Abgänger der Volksschule und des Gymnasiums kennen, wurde gefragt. Der Kanon indes wurde durch Experten erarbeitet, die Öffentlichkeit blieb außen vor. Diesen Fehler wollte Haarder vermeiden. Er nahm selbst an zahlreichen Diskussionen teil und sandte seine ministeriellen Mitarbeiter aus, an Debatten in Bibliotheken, Vereinslokalen etc. teilzunehmen.

Der Wertekanon kann als Momentaufnahme gesehen werden, was den Dänen im Jahr 2016 wichtig ist und was Einwanderern und Bewerbern um die dänische Staatsbürgerschaft deutlich gemacht werden soll: Hier gibt es keine Kompromisse. Die Mischung aus ethischen Werten, einem sozialen Gut wie dem Wohlfahrtsstaat und einem persönlichem Zustand wie der Gemütlichkeit erscheint auf dem ersten Blick etwas seltsam, macht aber doch Sinn.

Der Wohlfahrtsstaat beruht auf Lohnarbeit und Steuerzahlungen der großen Mehrheit. Die hohe Arbeitslosigkeit unter vielen Migranten sorgt dafür, dass sie von Beginn ihres Lebens in Dänemark im sozialen Abseits stehen. Um die Gleichheit der Geschlechter ist es bei Migranten oftmals schlecht bestellt. Vielen BürgerInnen war es wichtig, dies zu unterstreichen. Auch die Beherrschung der dänischen Sprache und damit einhergehend die Fähigkeit, mit Behörden und Mitmenschen zu kommunizieren und am öffentlichen Leben teilzunehmen, ist den Dänen wichtig. Hier dürfte sich die Erfahrung geltend machen, dass insbesondere ältere Einwanderer kein oder nur wenig Dänisch sprechen und ausschließlich in ihren eigenen Strukturen verhaftet sind.

Das gemütliche Beisammensein, als dänische »Hygge« schon fast zum Exportartikel geworden, ist den Dänen überdies wichtig. Man erinnere sich an die Olsen-Bande, die ihre besten Pläne beim Bier ausheckte. Aber auch alle anderen Formen des Zusammenseins können Hygge sein - gern mit Alkohol oder Kaffee.

Initiator Haarder hofft, dass der Kanon nicht nur als Unterrichtsmaterial für Lehrer, sondern auch als Inspiration für den nächsten Einbürgerungstest dienen kann. »Der Wertekanon ist unsere gemeinsame kulturelle DNA. Er macht unsere Kultur deutlich, von der der Zusammenhalt unserer Gesellschaft abhängt«, so Haarder bei der Vorstellung.

Kritik kam von Schriftstellern. »Wir sind eine kleine, sehr homogene Gesellschaft, die weder unter dem Druck von Globalisierung noch von Einwanderung steht«, kritisiert er dänische Schriftsteller Knud Romer. »Der ›Danmarkskanon‹ hat den Charakter einer nationalen Aufrüstung, für die kein Bedarf besteht.« Und Autorin Anne Lise Marstrand-Jørgensen nennt es »peinlichen Provinzialismus«, dass der Kanon Werte wie Gleichberechtigung als besonders dänisch herausstellt: »Das Bestreben, diese universellen Dinge als etwas besonders Dänisches darzustellen klingt hohl in einer Zeit, in der unsere Integrationsministerin stolz darauf ist, Gesetze zu verabschieden, die an den Rand der Konventionen gehen, und in der Dänemark mit vielen Fällen vor dem Gerichtshof für Menschenrechte steht.«

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