Netanjahu gefährdet Klagemauer

UN-Resolution gegen Israels Siedlungskurs ist Folge kurzsichtiger Regierungspolitik

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Engelszungen redeten die Anwälte der israelischen Regierung auf die Richter des Obersten Gerichtshofes ein; in geradewegs demütigem Tonfall hatten sie in ihrem Antrag zuvor um eine erneute Verlängerung für den ohne Genehmigung gebauten Siedlungsaußenposten Amona gebeten; es gehe nur noch darum, die Siedlung, die nach Jahrzehnte langem Rechtsstreit eigentlich bis spätestens Sonntag hätte geräumt worden sein müssen, möglichst friedlich abzuwickeln: Die 42 Familien sollen in eine benachbarte, mit Genehmigung gebaute Siedlung umziehen.

Am Ende erlaubten die Richter 45 Tage, um diesen Plan umzusetzen, während die Poststelle den Eingang von Hunderten Klagen meldete, die sich gegen die von der rechtskonservativen Koalition geplante Legalisierung der anderen gut 100 ungenehmigten Siedlungen richtet.

»Dieses Gesetz ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die derzeitige israelische Regierung von der Zwei-Staaten-Lösung abgewendet hat«, sagt Neuseelands UN-Botschafter Gerard van Bohemen. Zusammen mit Senegal hatte seine Regierung schon vor Wochen einen Resolutionsentwurf in den Weltsicherheitsrat eingebracht, in dem Israels Siedlungspolitik verurteilt wird, einen von insgesamt 78, die allein in den vergangenen zehn Jahren im Sicherheitsrat eingebracht wurden. Doch anders als sonst legten die USA dieses Mal kein Veto ein, sondern enthielten sich nur; zum ersten Mal seit 1979 wurde eine Resolution angenommen, in der die israelische Siedlungspolitik verurteilt wird.

Kurzfristige praktische Auswirkungen hat das zunächst einmal nicht; Sanktionen sind damit nicht verbunden. Dennoch fiel die Reaktion der israelischen Regierung heftig aus: Regierungschef Benjamin Netanjahu, der offiziell auch Außenminister ist, die Amtsgeschäfte aber nicht führt, bestellte, zum ersten Mal überhaupt, zusammen mit den 15 Botschaftern der Ratsmitglieder, den US-Botschafter ein. Außerdem wurden die israelischen Botschafter aus Neuseeland und Senegal abgezogen.

Israel freue sich darauf, gemeinsam mit dem designierten US-Präsidenten Donald Trump die »schädlichen Auswirkungen« der Resolution zu beseitigen, ließ Netanjahu überdies mitteilen. Trump twitterte zurück, nach seiner Amtseinführung würden die Dinge bei den Vereinten Nationen anders aussehen.

Gleichzeitig hat Obamas Schritt aber der Opposition in Israel eine Steilvorlage geliefert: Netanjahu reagiere panisch, sagte Jair Lapid, Chef der Zukunftspartei. »Ich sehe hier nur komplettes Chaos. Netanjahu straft unsere engsten Verbündeten ab; das schadet nur unseren eigenen Interessen.« Lapids Partei würde Netanjahus Likud derzeit laut Umfragen weit hinter sich zurück lassen.

Jitzhak Herzog, Vorsitzender des Parteienbündnisses Zionistische Union, an der auch die Arbeitspartei beteiligt ist, erklärte indes, die israelische Außenpolitik sei unter der Siedlungspolitik der derzeitigen Koalition »komplett kollabiert«. Die Resolution sei eine direkte Folge der Versuche, Kleinsiedlungen und ungenehmigte Außenposten zu annektieren. »Die großen Siedlungsblöcke wurden von der internationalen Gemeinschaft nie in Frage gestellt«, so Herzog, »Netanjahus Koalition hat diesen Konsens aufgegeben. Für die ungenehmigten Siedlungen nimmt man in Kauf, dass nun auch die israelische Hoheit über die Klagemauer in Frage gestellt wird.«

Und selbst in Netanjahus Likud ist der Frust mittlerweile weit verbreitet: Die Resolution wird dort in scharfen Tönen verurteilt. Gleichzeitig machen auch hier Abgeordnete die aktuelle Politik für die diplomatische Krise dafür verantwortlich. Schon seit Langem beschweren sich Likud-Abgeordnete darüber, dass Entscheidungen wie die Siedlungslegalisierung oder das Lautsprecherverbot für Moscheen nur auf Druck der Siedlerpartei »Jüdisches Heim« zustande kommen. Der Preis dafür dafür werde die internationale Isolation und auch die Spaltung des Likud sein, warnt Avi Dichter, Ex-Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth.

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