»Diesmal kommen wir von hinten«

Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster prognostiziert einen engen Kampf um den Sieg bei der Vierschanzentournee

  • Lesedauer: 4 Min.

Ihr Teamleader Severin Freund ist nach seiner Hüftoperation überraschend gleich mit einem Weltcupsieg in den Winter gestartet. Zuletzt konnte er allerdings nicht mehr in Podestnähe springen. Wie stark ist er bei der Tournee einzuschätzen?
Severin hat seine Vorteile in Kuusamo gleich gnadenlos ausgenutzt und gewonnen. Aber eigentlich war das noch gar nicht sein Niveau. Ich sehe ihn unter den besten Zehn, aber noch nicht auf den Plätzen eins bis drei. Da müsste schon einiges passieren, dass er bei der Tournee ganz vorn mitspringen kann.

Was erwarten Sie generell von ihrem Team bei der 65. Vierschanzentournee?
Andreas Wellinger und Richard Freitag kommen immer besser in Form. Dann haben wir noch Markus Eisenbichler, der sehr stabil in der Weltspitze mitspringt. Unsere Ausgangsposition für die Tournee ist diesmal eine andere als im vergangenen Jahr, als Severin konstant um die Siege mitgesprungen ist. Wir sind sehr breit aufgestellt, aber gehen definitiv nicht als Favorit an den Start. Wir kommen von hinten, aber die Tournee hat ja bekanntlich eigene Gesetze.

Zur Person

Werner Schuster ist seit 2008 Bundestrainer der deutschen Skispringer. Vor dem ersten Wettkampf der diesjährigen Vierschanzentournee an diesem Freitag in Oberstdorf sieht er seine Athleten eher in einer Außenseiterposition. Im Gespräch mit nd-Autor Lars Becker spricht er außerdem über den Formaufbau von Severin Freund nach seiner Operation, die Erfolgsgeheimnisse von Sloweniens Jungstar Domen Prevc und die neue zweite Vierschanzentournee in Norwegen.
 

Also geht ausgerechnet Markus Eisenbichler als ihre größte Hoffnung auf Podestplätze ins Rennen? Er ist ja 2012 in Oberstdorf einmal schwer gestürzt …
Der Sturz ist kein Thema mehr für ihn. Den hat er überwunden. Markus weiß noch gar nicht, wie gut er eigentlich ist. Er kann mit den Allerbesten mitspringen. Markus hat ein irrsinniges Fluggefühl und hat sich körperlich herangetastet. Seinen dritten Rang in Lillehammer hat er wie einen Olympiasieg gefeiert: Markus hat 25 Jahre auf diese erste Podestplatzierung gewartet und man sieht ihm förmlich an, wie der Gedanke langsam in ihm reift, dass er ganz vorn reinspringen kann. Er muss das nur noch im Wettkampf zu 100 Prozent zeigen. Im Training springt er derzeit noch befreiter. Zuletzt war er da selbst mit Domen Prevc auf Augenhöhe.

Ist dieser Prevc mit seinen 17 Jahren denn der große Favorit auf den Tourneesieg?
Er hat einen sehr extremen Sprungstil, der besonders bei Rückenwind gut funktioniert. So kann er an einem guten Tag der Konkurrenz ein paar Meter davonspringen. Er kann also definitiv um den Gesamtsieg mitspringen. Allerdings muss man abwarten, wie er mit dem Druck bei der Tournee und der besonderen Situation mit seinen Brüdern zurechtkommt. Schließlich ist sein großer Bruder Peter der Vorjahressieger. Und man muss sehen, was passiert, wenn es mal Aufwind oder Böen gibt.

Was macht Domen Prevc denn anders als die Konkurrenz?
Er hat einen anderen Flugstil entwickelt. Da muss man den Hut ziehen. Domen Prevc stellt die Ski extrem flach, um mehr Auftrieb zu bekommen und profitiert dabei von seiner extremen Beweglichkeit im Sprunggelenk. Er scheint ein wahres Gummisprunggelenk zu haben. Das macht ihn einzigartig. Seine Flugkurve ist ganz anders als bei den anderen, so kann er auch den Telemark im hohen Weitenbereich sicher landen.

Ist er für Sie der einzige Favorit?
Auf gar keinen Fall. Das wird dieses Mal kein Solo für zwei wie noch im letzten Winter mit Peter Prevc und Severin Freund. Es wird wohl eher so wie vor zwei Jahren. Da gab es auch zehn Leute, die vorher theoretisch eine Chance hatten. Am Ende hat dann Stefan Kraft gewonnen, der vorher im Weltcup relativ weit hinten platziert war. Diesmal würde ich Domen Prevc, Daniel-André Tande, die beiden Polen Kamil Stoch und Maciej Kot, Kraft und Michael Hayböck aus Österreich sowie auch Eisenbichler zu den Favoriten zählen. Auch bei Peter Prevc und Severin Freund ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Severin ist ziemlich ruhig und routiniert unterwegs und aufs Arbeiten eingestellt. Für ihn steht eher die WM im Fokus, denn die Schanze in Lahti mag er extrem. Und er hat auch noch genug Zeit, sich auf seine Titelverteidigung vorzubereiten.

Ist denn die WM in diesem Winter wichtiger für das deutsche Team als die Vierschanzentournee?
Nein. Wir wollen beides erfolgreich bestreiten. Es bleibt das Ziel, um den Gesamtsieg bei der Tournee mitzuspringen. Auch wenn wir keinen Sportler in der Pole Position dafür haben. Wenn wir einen aufs Podest bringen, wäre es am Ende aber auch schon ein Erfolg.

In Norwegen steht im März noch eine zweite Tournee im Weltcupprogramm, die ebenfalls auf vier Schanzen ausgetragen wird. Ist das eine Konkurrenz zur klassischen Vierschanzentournee?
Diese neue Serie ist keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung. Es war höchst überfällig, dass sich mal jemand etwas überlegt und neue Aufmerksamkeit für das Skispringen generiert. Ich finde es auch positiv, dass dort ein Preisgeld von 100 000 Euro für die besten Drei der Gesamtwertung ausgeschüttet wird. Das geht einmal über die Mindestsummen hinaus und macht vielleicht auch ein bisschen Druck auf andere Veranstalter. Die, die die Show machen, sollten auch entsprechend dafür bezahlt werden.

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