Die Idee ist gut
Reform-Musik - gibt es das? Und ob, sagt Tom Strohschneider, die ist sogar wohlklingender als Revolutionsmusik
Zu den biografischen Erfahrungen des Linksseins gehört die Demo-Vorbereitung, weil: Ohne kollektives Umherlaufen kommt man keiner Revolution näher. Weshalb geplant und angemeldet - und selbstredend auch die richtige Musik ausgesucht werden wollte. Irgendwer zitierte dann immer Emma Goldman, die das in Wahrheit gar nicht gesagt hat: »Wenn ich nicht dazu tanzen kann, ist es nicht meine Revolution.«
Die Revolutionen blieben aus, vielleicht sogar zum Glück. Musikalisch betrachtet aber folgerichtig. Denn der Reformismus hat den viel schöneren Soundtrack. Nein, nicht Andrea Nahles und ihre Pippi-Langstrumpf-Gesangseinlage im Bundestag sind gemeint. Sondern gute Lieder. Wohlklingende Songs der Vernunft.
Das ist ja das Schöne am Reformismus, er täuscht sich nicht über die herrschenden Verhältnisse, aus denen man sich nicht mal eben durch die Besetzung des nächstgelegenen Hauptpostamtes herausputschen kann. So tanzbar auch die Musik sein mag, die die Revolutionäre dabei spielen.
Man braucht im echten Leben zum Beispiel Geduld, wie wir von Katja Ebstein lernen können: »Wunder gibt es immer wieder/ heute oder morgen/ können sie geschehn.« Oder übermorgen. Bis dahin gibt es trotzdem viel zu tun. »Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne«, lautet ein friedens- und energiepolitischer Vorschlag von Nicole. Die Single verkaufte sich weltweit über fünf Millionen Mal! Nicht trotz, sondern wegen des realistischen »ein bisschen«.
Natürlich: Reformismus heißt auch, Rückschläge hinzunehmen. »Kannst du dich nicht endlich mal verbindlich entscheiden«, singen Die Sterne - und wer jemals einen Kompromiss im Koalitionsausschuss durchgebracht hat, weiß, dass da auch noch mehr Ärger kommt: »Wie willst du das vermeiden/ ich hab keine Ahnung, wie das sonst gehen soll.« Von der Hamburger Band wissen wir zudem, was droht, wenn niemand zu Kompromissen bereit ist: »Alle warten, nichts bewegt sich/ nur weil du dich nicht bewegst/ irgendjemand wird noch durchdrehen/ wenn du das nicht bald verstehst.«
Auch in der realsozialistischen DDR wurde das Hohelied geduldiger Arbeit an der Verbesserung der Lebensbedingungen der Werktätigen gesungen - von der Gruppe Karat: »Über sieben Brücken musst du gehn/ sieben dunkle Jahre überstehn.« Dass der Song in der realkapitalistischen BRD auch gut ankam, hatte wohl damit zu tun, dass die Leute dort wussten, dass es nach fast zwei Legislaturperioden nicht mehr so weit hin ist bis zur nächsten Wahl.
Gewissermaßen zum Programm gemacht haben sich den reformistischen Wohlklang Tocotronic, wie eine kurze Untersuchung ihrer Songtexte einwandfrei beweist. »Ich möchte teil einer Jugendbewegung sein« verweist auf die Möglichkeit, sich demokratisch einzubringen. »Wir kommen, um uns zu beschweren« ist ein Loblied auf die rechtsstaatlichen Möglichkeiten. »Ich mache meinen Frieden mit euch« bezeugt, dass man immer noch auf der richtigen Seite ankommen kann. Dort geht es dann um »Die Verbesserung der Erde«. Was, wie schon gesagt, nicht so einfach ist, weshalb man in der politischen Kommunikation kreativ sein muss: »Wir brauchen dringend neue Lügen.«
Und wer nun immer noch nicht von der Überlegenheit reformistischer Songs überzeugt ist, der lege »Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit« auf. Oder »New Dress« von Depeche Mode: »You can’t change the world/ But you can change the facts/ And when you change the facts/ You change points of view/ If you change points of view/ You may change a vote/ And when you change a vote/ You may change the world«.
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