Der Fußball meidet die Türkei
Nach den Anschlägen 2016 suchen sich die Bundesligisten andere Orte für das Wintertrainingslager
Sanfte Sonnenstrahlen fallen durch den Pinienwald. Eigens angelegte Laufrunden schlängeln sich um großzügige Golfplätze. Penibel gepflegte Rasenplätze lassen keine Wünsche offen. Für die meisten Profifußballer gehörte das zum neuen Jahr wie die Böller zu Silvester. Doch das Ambiente an der türkischen Riviera wird 2017 niemand mehr genießen. Wenn in dieser ersten Januarwoche insgesamt 15 deutsche Bundesligisten ins Trainingslager abfliegen, dann keiner mehr mit diesem Reiseziel.
Die veränderte Sicherheitslage hat zum Umdenken geführt. »2017 wird kein Verein aus der ersten oder zweiten Bundesliga seine Wintervorbereitung in Belek oder andernorts in der Türkei durchführen«, berichtete Henning Rießelmann, Geschäftsführer der zum wichtigsten Vermittler von Trainingslagern aufgestiegenen Firma Match IQ bereits vor zwei Monaten. Der Anschlag in der Silvesternacht, als in der Istanbuler Disco »Reina« mindestens 39 Menschen getötet wurden, bestätigte die Angst der Klubs nur noch einmal, auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung, einen Bogen um Belek zu machen, längst gefallen war.
Die türkische Tourismusindustrie zahlt somit erneut den Preis für die politische Situation im Land. »Mit Erdogan will ich nichts zu tun haben«, erklärte beispielsweise Trainer Gertjan Verbeek vom Zweitligisten VfL Bochum. Niemand will den Kurs des umstrittenen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan allein durch seine Anwesenheit stützen.
Bereits im Sommer waren die Buchungszahlen in den luxuriösen Bettenburgen rund um Antalya um 40 Prozent eingebrochen, nun fallen für das Wintergeschäft auch noch die Fußballteams weg. Gerade das Touristenzentrum Belek, das sich mit einer perfekten Infrastruktur und günstigen Preisen zum Anlaufpunkt für Profis aus halb Europa entwickelt hatte, trifft die Abstinenz hart. Und wie lange man sich noch mit Dumpingangeboten über Wasser halten kann, weiß vor Ort niemand so genau. »Was sich dort abspielt, ist ein Trauerspiel«, weiß Berlins Manager Michael Preetz, der gerne in Belek geblieben wäre: »Wir hatten dort immer erstklassige Bedingungen, gute Hotels und Plätze, kurze Wege, starke Testspielgegner.« Argumente, die nicht mehr zählen, wenn das Sicherheitsgefühl ob der vielen Attentate erschüttert ist.
Weilten im vergangenen Jahr noch 18 Erst- und Zweitligisten in der Türkei, kommen nun allein zehn Bundesligisten in Spanien unter – und RB Leipzig in Portugal. Angeflogen werden Mallorca (Hertha BSC), Benidorm (Schalke), Sotogrande (Freiburg), La Manga (Wolfsburg) und San Pedro del Pinatar (Darmstadt). Zum heimlichen Hotspot für deutsche Kicker hat sich Marbella entwickelt, schlicht weil hier das Hotelangebot für das meist einwöchige Wintercamp am umfangreichsten und die Trainingsmöglichkeiten auch akzeptabel sind. So residieren nun Augsburger, Dortmunder, Mönchengladbacher und Mainzer in Marbella. In der Nähe an der Costa del Sol ist auch noch Werder Bremen untergekommen.
Bremens Geschäftsführer Frank Baumann war schon im November nach Andalusien geflogen, um alles in Augenschein zu nehmen. Tenor: Alles bestens, zumal auch die Türkei keine absolute Sicherheit in Sachen gutes Wetter bieten konnte. Strahlenden Sonnenschein (und noch mehr Luxus) garantieren nur die Scheichtümer, die einige Vereine, teils aus Marketingzwecken, seit Jahren ansteuern. So jettet der FC Bayern wieder nach Katar, Eintracht Frankfurt nach Abu Dhabi und der Hamburger SV nach Dubai. Bayer Leverkusen bezieht zum dritten Mal ein Quartier in Orlando – nach Florida geht somit der weiteste Trip der Liga.
Drei Vereine halten gar kein Trainingslager mehr ab. Hoffenheim, Köln und Ingolstadt üben lieber daheim. Wenn die Saison Mitte Januar fortgesetzt wird, würde man ja auch keine 28 Grad haben, sagte Kölns Trainer Peter Stöger. Gut möglich, dass sich diese Ansicht im nächsten Jahr durchsetzt. Da die Deutsche Fußball-Liga dann nur noch zwei Wochenspieltage vorsieht, beginnt die Rückrunde 2018 bereits am 12. Januar. Da bliebe kaum noch Zeit für weite Reisen ins Trainingslager – und vermutlich werden den meisten Profis auch gleich die Winterferien auf wenige Tage zusammengestrichen.
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