Niemals ohne Gummi

Cummi Flu / Amiina

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Mehrfach ertönt die singende Säge, und auch Weinglasränder werden gerührt«, schrieb die Musikzeitschrift »Spex« vor zehn Jahren über den Klang der Instrumente auf dem Debütalbum des isländischen Streichquartetts Amiina. Soeben ist nun dessen neue Platte herausgekommen, und es kommt einem so vor, als ob sich seit dem Erscheinen der ersten nichts Wesentliches verändert hat: Der Grundton ist immer noch das Bittersüße.

»Fantomas« ist der Soundtrack betitelt, den die Gruppe Amiina - die bisher vor allem bekannt dafür ist, als Streichersektion der populären isländischen Zeitlupenkitschproduzenten Sigur Ròs tätig zu sein - für den bekannten fünfteiligen französischen Stummfilmklassiker »Fantomas« aus dem Jahr 1913 geschrieben hat. Dabei hat sich das Sextett entschieden, seinen elegischen Kammerpop perkussionstechnisch ein wenig aufzumotzen: Allerlei virtuoses Getrommel und elektronisch erzeugtes Geknacksel und Geblubber wird mit melancholisch gefärbten süßlichen Melodien, die überwiegend der Violine, dem Cello, der Harfe, der Ukulele, der Mandoline und der Zither entlockt werden, kunstvoll gemischt. Nebenher klimpert und klingelt wie immer sanft das Glockenspiel. Schön! Heute kann man in Berlin die Isländerinnen und Isländer live den Film begleiten hören.

Wer den zu ihrer Zeit - d.h. vor ca. zehn Jahren - unterschätzten Ambient-Jazz-Elektronikprojekten Swod und Dictaphone etwas abgewinnen konnte, kennt den belgischen Multiinstrumentalisten Oliver Doerell. Mit Swod und Dictaphone gelang ihm seinerzeit das beachtliche Kunststück, die Stille als zentrales tragendes Element in die sowieso schon entschleunigten, entschlackten, brüchigen und eine diffuse Traurigkeit verströmenden Musikstücke zu integrieren. Nun macht Doerell, der seine kunstvoll zusammengebastelten Geräusch- und Perkussion-Schleifen »gerne aus Flitschgeräuschen verschiedener Gummibänder erzeugt« (Promo-Zettel) und auch sonst gern mit allem möglichen klangerzeugenden Material experimentiert, unter dem Namen Cummi Flu gemeinsame Sache mit dem dänischen DJ und Sänger Raz Ohara.

Auf dem Album »Y« sind deutlich Dub-, Ambient-, Afrobeat- und Folk-Einflüsse zu hören, und dennoch ist das hier kein Dub- oder Folk-Album: Vielmehr erinnert diese wunderbar kleinteilige, detailversessene, im besten Sinn verschrobene Musik in ihrer Nervosität und Konzentration seltsam vereinenden Sonderbarkeit auch an das hypnotisch-psychedelische Geklöppel von Bands wie Can. Musik jenseits des Marktes.

Amiina: »Fantomas« (Mengi/Morr Music); Cummi Flu/Raz Ohara: »Y« (Albumlabel/Morr Music)

Amiina begleiten heute Abend, am 6.1., den Stummfilm »Fantomas« mit zwei Live-Performances in Berlin, 18 Uhr und 21 Uhr, Nordische Botschaften, Rauchstraße 1.

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