Ein Klassiker des Dummfilms

Vor 90 Jahren hatte Fritz Langs Film »Metropolis« Premiere. Wer den Film gesehen hat, ist selbst schuld.

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Stummfilm ist eine Laune der Natur. Ein unvollständig zur Welt gekommenes Genre, das nach kurzer Blüte vom Tonfilm verdrängt wurde. Möglich, dass auch das an Langs Film »Metropolis« (1927) verdrießt, der ungeheuer aufgepumpt noch einmal alles herausholte, was an Tugenden und Macken in der untergehenden Kunstform steckte. Ein wenig Unsicherheit mag hier bleiben, da der Film nicht vollständig erhalten ist und die hinzugeführten Elemente der spät restaurierten Fassung von 2010 stark gelitten haben. Obgleich statt der Lang-Fassung also bloß eine Langfassung greifbar ist, scheint heute ein wenigstens ungefährer Eindruck dessen möglich, was am 10. Januar 1927 bei der Premiere über die Leinwände ging.

Ungeachtet gewiss nachweisbarer Pionierarbeit hat der Film ästhetische Schwächen, die namentlich am Expressionismus des Regisseurs hängen: eine Überbetonung der Bildsprache, die zulasten der Erzählung geht und selbst für einen Stummfilm überdreht ist. Man vergleiche das etwa mit den subtilen Mitteln Hitchcocks im zur selben Zeit entstandenen Kriminalfilm »The Lodger« (1927). Die oft getadelte Fabel dagegen ist so schlecht nicht; vorderhand anstoßende Unklarheiten sind bei weiterndem Mitdenken erklärbar. Ich erwähne das, weil mit der Kritik am Drehbuch gern der gute Fritz Lang von der miesen Thea von Harbou getrennt wurde, was weder ihm noch ihr gerecht wird.

Auf sie zurückführen in der Tat lässt sich die weltanschauliche Stoßrichtung. Eine Zeitungsseite ist eng, ich beschränke mich also auf diesen wichtigsten Punkt. »Metropolis« ist nationalsozialistisch, bis ins Mark. Das zu sagen, ist nicht neu. Siegfried Kracauer tat es, und in seiner Nachfolge wurde der Gedanke gelegentlich weiterverfolgt. Ich gebe hier meinen kleinen Bypass hinzu, da dies Wissen langsam hinter einem Weihrauch ums Genre und den großen Lang zu verschwinden droht.

Der Film reitet als Dystopie und Gesellschaftskritik ein, muss sich also daran messen lassen. Das Setting zeigt eine rigide Klassengesellschaft, doch der gedankliche Zugriff bleibt vulgär. Die Oberschicht konsumiert, die Unterschicht produziert. Die Arbeit scheint mysteriös, sichtbar bloß als Anstrengung. Arbeiter drehen irgendwelche Uhren. Man sieht nicht nur sie nicht konsumieren, man sieht überhaupt nicht, dass Gebrauchswerte aus ihrer Tätigkeit entspringen. Diese strikte Trennung von Genuss und Produktivität ist selbst auf der logischen Ebene des Kapitals nicht durchzuhalten, da spätestens in der Zirkulation die Frage aufkommt, wer das produzierte Zeug abnehmen soll. Konsumenten und variables Kapital decken sich, eine Paradoxie, die z.B. Chaplin mit seiner eating machine in »Modern Times« (1936) raffiniert bewältigt hat. Der innere Zyklus, nachdem das Lohndrücken auch die zahlungsfähige Nachfrage drückt und so zum Nachteil der Kapitalisten wird, was eigentlich ihr Vorteil werden sollte, bleibt im breitbeinig auftretenden Monumentalwerk »Metropolis« ausgespart.

Damit zusammen hängt, dass die Spaltung der Stadt nicht als gesellschaftliche Struktur erscheint. Es gibt nur den einen Konzern des Joh Fredersen, der damit zugleich als Monarch kenntlich wird. So bleibt der eigentliche Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise unsichtbar: Nicht der einzelne Konzern oder sein irregeleitetes Personal, sondern die Atomisierung der Gesellschaft am Markt treibt die Produktion des Elends an. Was Brecht wenig später in seinem Drama »Der gute Mensch von Sezuan« (1942) vorführen wird, dass nämlich Armut auch beim besten Willen der Beteiligten nicht beseitigt werden kann, solange kapitalistische Verhältnisse Bestand haben, ist in »Metropolis« durch die Verwandlung der partikularen Konkurrenz in die Totalität der Monarchie einem Bedürfnis nach Schuldzuweisung geopfert. Elend ist hier Ergebnis von Verblendung oder Bosheit. Ein solcher Zugriff kann nie anders denn gemeingefährlich werden.

In dies bizarre Beieinander aus Mangel an Begriff und Übermaß an Wut passt auch die Indifferenz des vorgeführten Produktionsverhältnisses. Es werden Klassen gezeigt, aber nicht als Klassen. Die Wortsprache der Zwischentitel arbeitet gegen die Bildsprache, indem vom »Kopf und den Händen« die Rede ist statt z.B. von Aneignung und Ausbeutung. So wird das spezifische Produktionsverhältnis technisiert und auf die Kategorien des abstrakten Arbeitsprozesses gestutzt. Die Aneignung von Mehrwert maskiert sich als Teilung komplexer Arbeit: Hirn und Hand halt, die sich nicht so recht vertragen wollen und besser zueinanderfinden sollten. Und Technisierung wird Naturalisierung: das Kapitalverhältnis gerettet in einem anderen, das allgemeiner und besser vermittelbar ist. Und hierein wieder passt, dass der zur Entstehungszeit des Films sehr vitale Widerstand der Arbeiterbewegung als blinder Maschinensturm erscheint und so auf die Unreife des frühen 19. Jahrhunderts zurückgemendelt wird.

Die Forderung nach Vermittlung führt von der flachen Kapitalismuskritik zur Sozialdemokratie. Freder, Johs Sohn, ist denn auch der »Mittler«, den Maria ankündigt. So grüßt die Idee der Sozialpartnerschaft von der Leinwand, die brav die Dominanz der Bourgeoisie flankiert, weil sie die tatsächliche Asymmetrie zwischen Lohnarbeitern und Kapitalisten als symmetrisches und also vermittelbares Verhältnis ausgibt. Aber der Film greift tiefer ins Sentiment. Die sozialdemokratische Propaganda gleitet auf einer christlichen Symbolik, die die Hoffnung verdunsten lässt, hier könne Emanzipation oder Umwälzung gemeint sein. Marias Predigten machen die Arbeiter nicht bloß geschmeidig, das Christentum kommt tief aus der Vergangenheit, der subversive Akt findet statt in den »zweitausend Jahre alten Katakomben«. Es geht nicht bloß um Probleme der Gegenwart; es geht um die Wiederherstellung einer Tradition, die in der Industriewelt verloren gegangen ist.

Hier nun spätestens riecht es streng nach Nationalsozialismus, und gewiss lässt sich sagen, dass das Ideologem der »Volksgemeinschaft« mit dem der Sozialpartnerschaft verwandt ist. Beide behaupten die mögliche und wünschenswerte Einheit von Proletariat und Bourgeoisie. Im Nationalsozialismus tritt ein destruktiver Charakter der Einheit hinzu. Da auch sie das Unbehagen am Kapitalismus nicht tilgen kann, sucht sie den gemeinsamen Feind, der durch seinen Ausschluss den Zusammenschluss erst ermöglicht, intern im Juden und extern im Bolschewismus. Die Volksgemeinschaft behauptet Einheiten, wo in Wahrheit Grenzen sind, und Grenzen, wo Einheiten bestehen, indem deutscher Kapitalist und deutscher Arbeiter gemeinsam gegen nicht-deutschen Kapitalisten und nicht-deutschen Arbeiter vorgehen sollen.

Auch in dieser Hinsicht ist die Irrationalität von »Metropolis« bedrückend konsistent. Mit dem Erfinder Rotwang steht eine Figur bereit, die unmissverständlich als jüdisch-bolschewistischer Schädling gezeichnet ist. Schon der Name lässt kaum einen Spielraum. So jüdisch bereits »Rotwang« klingt, so wenig kann das »Rot-« darin überhört werden. Klassische Stereotype des Antisemitismus folgen. Rotwang handelt aus Rache, opfert einen Teil seines Körpers und will das organische Leben durch das künstliche eines Maschinenmenschen ersetzen, dessen Verführung ans Goldene Kalb erinnert. Sichtbar auch befördert durch die vulgäre Spielweise Klein-Rogges trieft aus Rotwang das antiintellektuelle Ressentiment. Mit Rücksicht auf die Moral von Kopf und Hand lässt er sich entschlüsseln als vom »organischen« Volk und dem wertschaffenden Prozess sträflich gelöster Kopfarbeiter, was im Verlust der rechten Hand und dem eremitischen Leben im Schatten der Türme anschaulich wird.

Die Logik der Fabel korrespondiert der des Nationalsozialismus. Ohne das Wirken dieses inneren Feindes stehen der wahrhaften Eintracht lediglich Unwille oder Unkenntnis im Weg, die das Herz (Freder) überwinden kann. Dass Rotwang aus Rache am großen Kapitalisten die Arbeiter zur Vernichtung der Stadt treibt, mag ungefähr dem entsprechen, was eine nationalsozialistische Psychologie sich im Anblick jüdischer Intellektueller in der Arbeiterbewegung ausbedacht hätte. Auch hier ist »Metropolis« ganz Zeitgeist. So kann nicht überraschen, dass der Film bei dieser verschwörungsideologischen Grundlegung das Pogrom (die Hexenverbrennung) und die dramatische Ermordung des »Schädlings« billigt.

Es wäre, wie gesagt, verkehrt, all das auf die Drehbuchautorin Thea von Harbou abzuwälzen. Natürlich kommt sie, die Nationalsozialistin, gelegen, einen großen Regisseur von seinen Fehltritten zu reinigen, und wie Rotwang stünde sie da, alles Schlechte an »Metropolis« auf sich zu nehmen. Doch wie Fredersen im Film, hatte Lang am Film die Verantwortung. Wie der im Falschen wirkt, wirkte er am Falschen. So gesehen lässt sich »Metropolis« vielleicht doch genießen: als ungewollte Parodie auf sich selbst.

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