Eine LINKE mit Sahra Wagenknecht kann ich nicht wählen

Jan Ole Arps sieht in der Rhetorik der Spitzenkandidatin das populistische Strickmuster der Rechten

  • Jan Ole Arps
  • Lesedauer: 5 Min.

Anfang Dezember hat die Linkspartei ihre Spitzenkandidat_innen für die Bundestagswahl 2017 gekürt. Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sind es geworden. Ich gehöre zu den Wählern, die die Linkspartei damit verliert.

Dies ist ein Debattenbeitrag über die politische Strategie von Sahra Wagenknecht. Eine Erwiderung finden Sie unter dem Titel »Raus aus dem politischen Exil: mit Sahra Wagenknecht« ab Sonntag hier im nd.

Sahra Wagenknecht bedient systematisch rassistische Ressentiments in der Bevölkerung, und das nicht erst seit gestern. Kritik prallt an ihr ab. Im Anschluss an die massive Gewalt gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 sagte sie inmitten einer von rassistischen Bildern bestimmten Debatte ihren inzwischen berühmten Satz: »Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.« Beifall von der AfD kam sofort. Einen Tag später bekräftigte Wagenknecht ihre Aussage. Wenn nochmal eine Million Flüchtlinge kämen, würde »Deutschland zerreißen«. Besser als Milliarden für Integration auszugeben wäre es, Deutschland würde fünf oder zehn Milliarden Euro für Flüchtlingslager in der Region zahlen.

Und: »Natürlich gibt es Kapazitätsgrenzen, wer das leugnet, ist doch weltfremd.« Das wiederholte sie im März. Im Sommer boten ihr dann die Anschläge von Ansbach und Würzburg Anlass, um einmal mehr geflüchtete Menschen als Sicherheitsproblem darzustellen. Nun müsse der Staat alles tun, »dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können.« Und so ging es weiter, bis zum jüngsten Interview im »Stern«, das ihr erneut Applaus von ganz weit rechts einbrachte.

Bedrohungsgefühle zu schüren und mit der Anwesenheit von Menschen zu verknüpfen, die vor Krieg geflohen sind oder einfach ein besseres Leben suchen, das ist das Programm der Rechten – und offensichtlich auch das von Sahra Wagenknecht. Auch die Methode stammt von rechts: erst etwas Skandalöses sagen, dann zurückrudern. Falsch verstanden, anders gemeint. Man wird ja wohl noch sagen dürfen. Es ist das gleiche populistische Strickmuster, mit dem sich die extreme Rechte als Tabubrecherin gegen die angebliche politische Korrektheit des Mainstreams inszeniert.

Da ist es nur folgerichtig, dass Sahra Wagenknecht das erste Interview nach ihrer Nominierung dem russischen Propagandasender RT Deutsch gab. Mit ihrer Haltung zu geflüchteten Menschen (zu viele) und Russland (egal wie viele Menschen russische Bomber in Syrien töten, Schuld sind immer die Amerikaner) gibt es ohnehin viele Übereinstimmungen zwischen Wagenknecht und dem Sender. RT Deutsch gehört zu den Lieblingsseiten des rechten Spektrums; wer sich schon mal durch die Facebook-Profile von Reichsbürgern und AfD-Freund_innen geklickt hat, weiß das. Kürzlich stellte der Bayerische Rundfunk in einer Analyse fest, dass der Sender bei den Facebookfans von Pegida Nürnberg nach der Jungen Freiheit die zweitbeliebteste Informationsquelle ist.

In diesem Spektrum will Sahra Wagenknecht für die Linkspartei mobilisieren. In Zeiten, in denen die Rechte zum Kulturkampf gegen das »Establishment« und gegen »Fremde« bläst, stimmt ein Teil des Linkspartei-Spitzenpersonals die gleiche Melodie an, statt scharf und unmissverständlich zu widersprechen – fatal.

Es geht bei all dem nicht allein um Sahra Wagenknecht. Hinter Aussagen wie denen von den »begrenzten Kapazitäten« stehen Überzeugungen, die zur geistigen Grundausstattung der deutschen Sozialdemokratie gehören. In dieser Sichtweise geht es bei sozialstaatlichen Leistungen um die Verteilung knapper Ressourcen, geht die »Hilfsbereitschaft« gegenüber geflüchteten Menschen auf Kosten von Leistungen, die zuerst deutsche Staatsbürger_innen erhalten müssten.

Sahra Wagenknecht betont, die Grenzen der Belastbarkeit seien politisch verschiebbar – »etwa durch eine Wohnungspolitik, die bezahlbaren Wohnraum schafft und auch verhindert, dass es Ghettoisierungen gibt, ganze Stadtteile mit Parallelwelten entstehen«. »Parallelgesellschaften«, noch so ein rechter Kampfbegriff.

Dass in dieser Beschreibung ein fragwürdiges Verständnis von Rassismus (als Resultat von Konkurrenz) und enorme Ignoranz gegenüber internationalen Ausbeutungsverhältnisse zum Ausdruck kommen, ist das eine. Das andere ist: Ausschluss und Spaltung gehören von Anfang an zum deutschen Sozialstaat dazu. Der Auf- und Ausbau des Sozialstaats fällt zusammen mit der Einbindung der SPD in den deutschen Imperialismus im Kaiserreich, die 1914 in den »Burgfrieden« und die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten mündete. Der Sozialstaat, den die Sozialdemokratie als »Errungenschaften der Arbeiterbewegung« preist, war aus Sicht der reaktionären Kräfte vor allem ein Programm zur nationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Krieg, wie Ingo Stützle zutreffend analysierte.

Wie fest der Nationalismus im Sozialstaat verankert ist, zeigt sich immer dann, wenn es um Leistungen für Nichtdeutsche geht. Im Koalitionsvertrag verspricht die Bundesregierung, die »Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme« zu begrenzen. Im Oktober hat sie ein Gesetz vorgelegt, das EU-Bürger_innen fünf Jahre von Sozialhilfe und Hartz IV ausschließen soll. Die Leistungen für Asylbewerber_innen wurden erst 2012, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, an die Hartz-IV-Sätze angenähert, die das Existenzminimum für Deutsche definieren. Eine Gleichstellung gibt es immer noch nicht. Und aktuell wird mal wieder über Ausnahmen vom Mindestlohn für Geflüchtete diskutiert.

Dieser Sozialstaat ist gemeint, wenn Politiker_innen wie Wagenknecht von Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung sprechen: einer, der nach den Bedürfnissen des Kapitals gestaltet ist – und sich an Staatsbürger_innen richtet, die eher geflüchtete Menschen durch die Straßen jagen als das Bündnis mit dem deutschen Kapital aufzukündigen. Da könnte ich ja auch gleich SPD wählen.

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