Wohnungslose stehen vor Rauswurf
Einem Obdachlosenheim in Moabit droht durch Rechtsstreit Räumung
»Die Bewohner laufen Gefahr, im Falle einer Räumung auf der Straße zu landen«, sagte der Richter. Gemeint sind mehrere Männer, die in einem Heim für wohnungslose Menschen in Moabit leben. Derzeit befinden sie sich in einem Rechtsstreit mit dem Eigentümer des Hauses. Dessen Anwalt machte sich wenige Sorgen um den Verbleib der Bewohner nach der Räumung. Beim Gerichtsprozess am Dienstag entgegnete er dem Richter, dass sich das Land Berlin schon um sie kümmern werde.
Der Eigentümer des Gebäudes hatte eine Räumungsklage gegen die Bewohner eingereicht. Vier von ihnen waren bei der Verhandlung anwesend. Die Entscheidung des Richters wird erst für den 24. Januar erwartet. Der sieht keine Möglichkeit mehr für eine einvernehmliche Einigung. »Dass es hier unterschiedliche Ansichtspunkte gibt, sehe ich ein. Für einen werde ich mich entscheiden müssen.«
Im Wohnheim in der Berlichingenstraße 12 sind viele Männer mitunter seit mehreren Jahren ansässig. Der private Eigentümer hatte Ende 2015 der Betreiberfirma des Wohnheims »Gästehaus Moabit« zu März 2016 gekündigt. Als die Bewohner das Heim nicht verließen, reichte der Eigentümer gegen sie und den Betreiber Klage ein. Er war der Ansicht, dass mit der Kündigung des Gewerbemietvertrags alle dort lebenden Männer ihr Wohnrecht verlören - unabhängig von ihrem teilweise seit mehr als zehn Jahren verfestigten Wohnstatus. Der Eigentümer hatte mit einem neuen Betreiber, Gikon, einen Mietvertrag abgeschlossen. Dieser war nicht zur Verhandlung erschienen. Gikon will die jetzigen Bewohner nicht im Gebäude behalten. Laut Anwalt des Eigentümers soll es auch keine Einzelzimmer mehr geben. Eine andere interessierte Betreiberfirma, welche die jetzigen Bewohner im Haus wohnen lassen will, könne keinen Zuschlag bekommen, weil der Vertrag schon mit Gikon geschlossen worden sei. Bewohnerverteidiger Henrik Solf sagte, der Eigentümer setze den Vertrag als Druckmittel ein.
Reinhard Kilian, der in der Berlichingenstraße wohnt, kommentierte die Verhandlung mit den Worten: »Abwarten. Gegebenenfalls werden wir in die nächste Instanz gehen.« Bewohner Benjamin Werner sagte: »Ich hoffe, dass wir bleiben können.« Er habe aber ein ungutes Gefühl.
Susanne Torka von der Initiative »Wem gehört Moabit« beschreibt den Streit zwischen Eigentümer und Bewohnern als »völlig absurd«. Im Sommer 2016 hatte der Eigentümer das Wasser abstellen lassen, Anfang Dezember 2016 wurden die Gasleitungen durchtrennt und der Gaszähler entfernt, um die Bewohner zum Auszug zu zwingen. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), der sich für die Bewohner einsetzt, hatte daraufhin Anzeige wegen Körperverletzung in 22 Fällen gestellt. »Wir als Initiative finden es völlig unmöglich, dass der Eigentümer so mit den Bewohnern umgeht«, sagte Torka.
Das Bezirksamt hatte dem Eigentümer und der Hausverwaltung Gespräche für eine einvernehmliche Lösung angeboten, doch dieser hatte nicht darauf reagiert. »Auf politischer Ebene muss eindeutig mehr Druck gemacht werden«, fordert Sara Walther vom Bündnis »Zwangsräumung verhindern«. »Wir müssen weiter dran bleiben, damit es menschenwürdigen Wohnraum für obdachlose Menschen gibt, statt Doppelstockbetten in Achtbettzimmern. Es ist möglich. Es muss nur gemacht werden.«
Schlafplätze für Wohnungslose sind ohnehin knapp in der Hauptstadt. Es fehlt an geeigneten Immobilien. Gerade der Wintereinbruch sorgt für große Auslastung der Notübernachtungen. Insbesondere in zentral gelegenen Häusern sind die Schlafplätze für Obdachlose voll, wie Lena Högemann, Sprecherin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz als großer Träger der Kältehilfe, mitteilt. Insgesamt kann die Kältehilfe weniger Schlafplätze als im Jahr zuvor anbieten. Fachleute gehen von einer gestiegenen Zahl von obdachlosen Menschen aus. Je nach Quelle und Definition leben in Berlin 3000 bis 10 000 Menschen auf der Straße.
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