Albträume von einer brüchigen Demokratie

»Der Mann, der Liberty Valance erschoss« nach einem Western von John Ford im Berliner Maxim-Gorki-Theater

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf »welches Fundament unsere Demokratie aufgebaut« ist - diese Frage stellt sich laut Programmheft die Inszenierung »Der Mann, der Liberty Valance erschoss« von Hasan Savaş Mican. Als Textvorlage hat er dazu auf den berühmten gleichnamigen Western des Altmeisters der US-amerikanischen Filmregie John Ford zurückgegriffen, den dieser nach einer Short Story von Dorothy Johnson gedreht hatte. Das Bild des Fundaments taucht auch in Micans Dialogfassung auf - als Sinnzeichen für eine ebenso widerstandsfähige wie durchlässige Basis für Zukunftsvorhaben. Der »gute Cowboy« Bert erzählt sie voller Zukunftshoffnung.

Dieser Bert hatte dem Haupthelden, dem jungen Anwalt Ransom Foster, gleich mehrfach das Leben gerettet. Zum letzten Mal, als er den zum tödlichen Schuss auf Foster bereiten Mörder Liberty, unbemerkt von allen Zeugen, niederschoss. Die erste Rettung wird uns von Ransom in einem Prolog berichtet. Da hatte ihn besagter Liberty in der Wüste überfallen, ausgeraubt und schwer verletzt. Bert hatte ihn auf dem Rücken in den Saloon des gottverlassenen Nests Twotress getragen, wo er bei der schwedischstämmigen Barbesitzerin Hallie Unterschlupf und Verpflegung gefunden hatte. Bald muss Ransom feststellen, dass dieser Ort in Angststarre verfallen ist, in Angst vor dem im Dienst der reichen Viehbarone stehenden Mörder Liberty. Sheriff Kane weigert sich, Anklage zu erheben, und der Chefredakteur Locke hat Angst, unter einen von ihm selbst geschriebenen Artikel gegen die Viehbarone seine Unterschrift zu setzen. Einzig der Cowboy Bert bietet dem Ganzen die Stirn, obwohl er ahnt, dass der Fremde einst mit seiner, Berts, Geliebten fortgehen wird.

Parallelen zu heutiger Demokratiegefährdung in den USA scheinen auf. Angesichts von Lockes Feigheit - wer dächte da nicht an die angstschlotternde Gestalt des englischen Verfassers des Trump-Dossiers, der die Rache der Republikaner fürchtet? Den von Mican geschaffenen Text betreffend, stören allerdings ambitioniert ertüftelte Formulierungen wie die Aufforderung an Bert, seine »Testesterongewalt in Zukunft in Sprache zu kanalisieren«.

Mican begnügt sich nicht mit einer fußgängerischen Nacherzählung des Films. Seine Inszenierung ist voller Brüche, Umwandlungen und Hinzuerfindungen. Immer wieder kommt - ohne beim Namen genannt zu werden - das Amerika Donald Trumps ins Spiel. Höhepunkt ist dabei die Krönung Ransoms zum Abgeordneten. Da fühlen wir uns in ein amerikanisches Wahlkampfspektakel versetzt. Fanfarenstöße erklingen, riesige Wunderkerzen werden abgebrannt, es schneit Papierschlangen, Konfetti und bunte Luftballons, und ein Einpeitscher in Gestalt des Redakteurs Locke preist die Tugenden des Kandidaten. Aus der Dunkelheit erscheint im paillettenbesetzten Kleid eine an die Trump-Gattin Melania erinnernde Blondine und schließt sich den lauten Lobhudeleien an. Der Gepriesene gleitet inzwischen leuchtkettenbehängt an die Rampe. Ein Alptraum von einer aus den Fugen geratenen Demokratie.

Der scheinbar geläuterte Mörder Liberty (Yousef Sweid) bewirbt sich um einen Kongressplatz, verspricht, »Amerika wieder groß zu machen« und erklärt, er könne es sich leisten, Minderheiten zu beleidigen und den Frauen an »die Muschi zu grapschen«. Überall lauern Angst und Schrecken. Der Chefredakteur (Tim Porath) wehrt sich feige gegen eine Nominierung zum Abgeordneten, denn da müsste er ja Verantwortung übernehmen und behauptet, den kritischen Artikel habe nicht er, sondern eine »kollektive Autorschaft« geschrieben. Ransom selbst (Mehmet Ateşçi) ist wie vom Schlag getroffen, wenn ihm Liberty mit großer Geste die Hand reichen will.

Die Inszenierung erfindet sich immer wieder neu. Eröffnet Ransom eine Schule, wird indirekt die berühmte Lehrerszene aus der »Mutter« zitiert, und wenn die vom Wissensdurst befallene Wirtin (Lea Draeger) an die Rampe geht und kampfentschlossen die Faust ballt, ist die Analogie zur Gorki- und Brecht-Figur nicht mehr zu leugnen. Da beginnt die Inszenierung jedoch, sich zu verirren. Das Theater wird zur linken Parteitagstribüne, und einige Zuschauer werden als Kronzeugen aufgerufen. Agitation und Propaganda treten an die Stelle des vorher angestrebten situativen Partnerspiels.

Problematisch auch der ständige Gebrauch der Videokamera. Kaum eine Szene, die nicht durch Wiedergabe auf verschiedenen Leinwänden gedoppelt wird. Das bringt neben wenig Gewinn auch viel Verlust. Eine Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten allerdings, wenn unsichtbare szenische Partner hinter verschlossenen Wänden und Türen angesprochen werden und wir auf diese Weise subtile Reaktionen der Angesprochenen erleben - so, wenn Hallie hinter der Tür mit versonnen glücklichem Gesichtsausdruck die Liebeserklärung Berts (Taner Sahintürk) aufnimmt.

Das Bruchstückhafte der Bühnenfassung wird kenntlich gemacht durch den Einschub von Zwischenspielen und Pausennummern. Liberty spielt auf dem Klavier ein Lied, in dem er behauptet, dass »dies nicht sein Amerika« sei, das gesamte Figurenensemble formiert sich zum Gruppentanz und in seltsamer Verfremdung erscheint Hallie als Freiheitsstatue mit Leuchtfackel - an der sich Bert, um den Wiedereinstieg ins Geschehen zu markieren, seine Zigarette anzündet.

Unvergessen wird die ungehemmte Spielfreude der Akteure bleiben. Eine besondere Pointe des Unternehmens: In einer Bühnenfassung des Films von Ford wird eine Veranstaltung der Republikaner verhöhnt, obwohl doch der berühme Filmregisseur ein bekennender Anhänger der Republikaner und sein Hauptdarsteller John Wayne ein republikanischer Hardliner war.

Nächste Vorstellungen: 18., 28. Januar; 12. Februar

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