Den Senat vor sich hertreiben
Andrej Holm möchte nach seinem Rücktritt nicht über Fehler, sondern über Machtverhältnisse sprechen
So entspannt wie am Montagabend nach seinem Rücktritt vom Amt des Wohn-Staatssekretärs war Andrej Holm (parteilos, für LINKE) schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen. Auf dem ExRotaprint-Gelände hatten er und wohnungspolitische Gruppen geladen, um zu diskutieren, wie es nun weitergehen soll. Seine Haare sind frisch geschnitten, gelöst plaudert er mit Freunden aus der Bewegung, bevor es schließlich losgeht. »Das ist ein Ort, an dem wir oft zusammen in die Initiative gekommen sind«, sagt Holm zu Beginn. Das Gelände sei der richtige Ort für das Treffen »an einem Tag, an dem es nicht so aussieht, als würden die guten Ideen im Vordergrund stehen«.
Doch zunächst hat Matthias Clausen von »Kotti & Co« das Wort, Mitinitiator der Petition für einen Verbleib Holms als Staatssekretär, die von über 15.000 Menschen online gezeichnet wurde. »Ohne die Welle der Solidarität wäre Andrej Holm viel, viel früher abgesägt worden«, ist er überzeugt. Es wäre auch nicht zu der Debatte um Biographie und Verantwortung gekommen, so Clausen. Die Unterstützung habe im übrigen auch nichts mit einem »Personenkult« zu tun. Den Koalitionären attestiert er, dass letztendlich mitregieren wichtiger ist als »den Kontakt zur Stadtgesellschaft, auch durch Personalentscheidungen, zu halten«. Rot-Rot-Grün müsse nun auf anderen Wegen versuchen, die Initiativen von der eigenen Politik zu überzeugen. »Der gegenwärtige Zustand der Regierung lässt uns aber zweifeln.«
Susanne Lang schildert den zeitlichen Ablauf der Ereignisse seit vergangenem Donnerstag. Morgens habe die Humboldt-Universität (HU) einen Auflösungsvertrag für Holms Arbeitsverhältnis angeboten. »Das hätte allerdings nur Sinn gemacht, wenn alle Beteiligten mit der Lösung zufrieden gewesen wären«, so Lang. Darüber habe es in den Fraktionen von SPD und Grünen jedoch keine Einigkeit gegeben. »Am Samstag wurden wir dann zehn Minuten, bevor das in der Presse bekannt war, per Telefon informiert«, dass der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sich dazu entschieden habe, Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) aufzufordern, Andrej Holm zu entlassen, schildert Lang. »Dann waren wir in unserer Öffentlichkeitsstrategie etwas durcheinander.« Bis Sonntagnacht sei über die Möglichkeiten gesprochen worden. Entlassung, Rücktritt oder die SPD den Streit durchziehen zu lassen, nennt Lang die Optionen. »Das fanden wir alles inakzeptabel.«
»Die LINKE hat mir gesagt, sie würde mich nicht fallen lassen. Das wäre tatsächlich auch ein Gesichtsverlust gewesen«, sagt Holm. Insofern hätte es am Dienstag bei der turnusmäßigen Senatssitzung eine Kampfabstimmung gegeben. »Eine Kampfabstimmung würde nach den Regeln, die sich die Koalition selber gesetzt hatte das Ende der Koalition bedeuten«, so Holm weiter. Das sei für ihn eine relativ große Last gewesen, weil er in der Parlamentsdebatte am Donnerstag auch die Alternativen kennengelernt habe. »Das ist jetzt fast sozialdemokratisch, wenn man das kleinere Übel wählt«, staunt Holm über sich selbst. »Aber alles, was da kommt ist schlimmer, als was wir haben.« Das wäre eine totale Selbstüberschätzung seiner Person gewesen, wenn Rot-Rot-Grün daran scheitern würde, so seine Einschätzung.
Holm möchte mit den Initiativen analysieren, wie es dazu gekommen ist, allerdings nicht, wer wann welche Fehler gemacht habe und was eloquenter hätte vermittelt werden können. »Es ist tatsächlich eine Diskussion über Machtverhältnisse, die wir hier in der Stadt haben«, gibt der Stadtsoziologe die Richtung vor. Es sei innerhalb der Diskussion schon deutlich geworden, »dass es innerhalb der Koalition Kräfte gibt, die schon die nächste Kampagne vorbereitet hätten. Wenn es nicht die Stasi, der Fragebogen gewesen wäre, wäre es der Linksextremismus geworden. Oder meine Haltung zu den Basisbewegungen in Venezuela.« Es sei richtig gewesen zu sagen es gebe »für eine Wohnungspolitik, die mit meiner Person verbunden ist in der Koalition keine politische Mehrheit.«
Holm habe sich über die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters insofern geärgert, »dass er die Polarisierung als Grund nimmt, warum ich nicht für die Stadt- und Bundespolitik befähigt bin«. »Die Polarisierung ist in Berlin die Voraussetzung, dass es überhaupt eine andere Stadt- und Wohnungspolitik gibt«, so Holms Überzeugung, wofür er im vollbesetzten Saal Applaus erntet.
»Wie kommen wir dahin, dass diese Optionen, die uns die politische Konstellation pro forma gibt, tatsächlich umgesetzt werden«, fragt er schließlich in die Runde. Die Koalition sei momentan nicht in einem Zustand, dass die Initiativen sich auf sie verlassen könnten. »Ab morgen müssen wir anfangen, die Regierung vor uns herzutreiben, damit eine soziale Stadtpolitik tatsächlich Realität wird«, sagt Holm. Im Vergleich zum Parlament und verschiedenen Sitzungen des Politikbetriebes gefalle es ihm »rein atmosphärisch hier viel besser«.
Bei den anschließenden Wortbeiträgen der Initiativen wird die große Wut und Enttäuschung über die öffentliche Diskussion der Causa Holm deutlich. »Das war nicht nur ein Angriff auf Andrej, sondern auch auf unsere Initiativen«, sagt einer. Auch ein Journalist des Tagesspiegels, der im Publikum sitzt, wird für seine Berichterstattung angegangen. Nach einer knappen Stunde ist die Veranstaltung vorbei, viele wollen noch zur Pro-Holm-Demo vor dem Gorki-Theater. Dort wird Michael Müller zum Radiogespräch erwartet. Es sollte dort um den Aufbruch von Rot-Rot-Grün gehen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.