Hauptsache raus

Wie die Bundesregierung versucht, Geflüchtete zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Dezember 2016 startete ein Flugzeug mit abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan - das erste seit Jahren. Bereits am Montagabend könne erneut ein Abschiebeflug in Richtung Kabul starten, berichtete die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl am Montagnachmittag. Sie sieht darin eine Abschreckungstaktik, den Versuch, die Menschen davon abzuhalten, überhaupt erst auf den Erfolg ihres Asylgesuchs zu hoffen. Diese Rechnung scheint zumindest teilweise aufzugehen. Denn immer mehr Asylsuchende entscheiden sich für eine »freiwillige Rückkehr« in ihr Heimatland. Neben der Abschreckung durch Sammelabschiebungen will die Bundesregierung die Anreize für solche Rückkehrer verstärken.

Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zufolge verließen 2015 rund 35 000 Menschen aus - mehr oder weniger - freien Stücken die Bundesrepublik. 2016 wurden 55 000 Anträge zur Unterstützung einer freiwilligen Ausreise bewilligt. Die neue Chefin des BAMF, Jutta Cordt, rechnet mit einer weiteren deutlichen Zunahme. Cordt verwies auf die 40 Millionen Euro, mit denen die Bundesregierung zusätzliche Anreize für eine freiwillige Rückkehr setzen will. Ab Februar werde das BAMF die Rückkehr gestaffelt fördern, so Cordt. »Je eher die Menschen sich dazu entscheiden zurückzukehren, desto höher kann die Unterstützung sein.« Wenn sich abzeichne, dass die Asylsuchenden nicht bleiben dürfen, informiere sie das BAMF künftig schon vor einer Asylentscheidung darüber, welche Wege es gebe, freiwillig zurückzukehren.

Die 40 Millionen Euro sind Teil des vom Innenministerium aufgelegten »Starthilfe Plus«-Programms. Zusätzlich zu den bisherigen Mitteln soll es 1200 Euro für Asylsuchende geben, die ihren Antrag zurückziehen, 600 Euro pro Kind.

Pro Asyl sieht gerade Beratungen, »wenn sie schon in einem frühzeitigen Stadium des Verfahrens zu einer freiwilligen Ausreise raten«, kritisch. Die Organisation warnt Geflüchtete davor, eine Entscheidung zur »freiwilligen Rückkehr« uninformiert und unter Druck zu treffen und rät stattdessen dazu, alle rechtlichen Möglichkeiten gegen einen abgelehnten Asylantrag zu nutzen.

Bisher können Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden oder deren Antrag bereits abgelehnt wurde sowie anerkannte Flüchtlinge eine Rückkehrberatung in Anspruch nehmen. Über die Beratungsstellen können sie einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen, wenn sie Deutschland freiwillig verlassen. Berechtigt sind nur Personen, die die notwendigen Mittel zur Ausreise nicht selbst aufbringen können. Möglich sind die Erstattung der Transportkosten, etwa des Fluges, sowie Reisekostenhilfen in Höhe von 200 Euro pro Erwachsenem, und Starthilfen, die sich je nach Herkunftsland unterscheiden. 500 Euro erhalten beispielsweise Menschen, die freiwillig nach Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran oder Pakistan ausreisen. 300 Euro können Menschen anderer gelisteter Herkunftsländer - beispielsweise Mali, Somalia oder Türkei - beantragen.

Nach einer Statistik des BAMF ist das Land, in das die meisten Menschen freiwillig zurückkehren, Albanien, gefolgt von Serbien, Irak und Kosovo. Afghanistan liegt mit etwa 3000 bis Oktober 2016 freiwillig ausgereisten Menschen auf dem sechsten Platz der häufigsten Rückkehrländer.

Eine Mitarbeiterin einer Diakonie-Rückkehrberatung erklärt, es gebe neben dem Zwang aufgrund einer bevorstehenden Abschiebung ganz unterschiedliche Gründe für Geflüchtete, Deutschland zu verlassen. Das Geld sei jedoch in den wenigsten Fällen ausschlaggebend. »Manche haben zum Beispiel Angehörige in ihrem Heimatland, um die sie sich sorgen, andere haben in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht, haben es beispielsweise nicht geschafft, sich zu integrieren. Jeder Fall ist anders, da sind Pauschalisierungen immer schwierig.«

Rückkehrberatungen werden von verschiedenen Institutionen angeboten, etwa 160 solcher Stellen gibt es in Deutschland, sowohl von Wohlfahrtsverbänden als auch staatlichen Stellen, etwa dem BAMF oder der Bundesagentur für Arbeit.

Die Mitarbeiterin der Diakonie stellt für sich jedoch klar: »Wir sind keine Behörde, wir handeln im Sinne der Klienten.« Während der Beratung würde beispielsweise die Anhörung noch einmal durchgegangen, wenn sich dort Unregelmäßigkeiten fänden, könne es auch sein, dass man dem Flüchtling von einer freiwilligen Ausreise abrate und stattdessen eine Klage gegen den Asylbescheid empfehle.

Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl haben viele Rückkehrer aus Afghanistan angegeben, sie hätten mit ihrer Rückkehrentscheidung darauf reagiert, dass man ihnen gesagt habe, sie hätten keine Chance im Asylverfahren in Deutschland.

Bei den Rückkehrberatungen geht es neben Anträgen für Reisezuschüsse vor allem um die Perspektiven in der Heimat. Die Institutionen kooperieren mit Stellen in den jeweiligen Herkunftsländern, die beispielsweise für die Rückkehrer Businesspläne aufstellen und Arbeitsperspektiven ausloten. Geflüchtete können nach ihrer Rückkehr dann über deutsche und europäische Förderprogramme finanzielle Unterstützung bei der Existenzgründung erhalten. Je nach Region gibt es verschiedene Rückkehrprojekte mit Fokus auf dem Neustart im Herkunftsland, etwa die Hamburg-Ghana-Bridge von verschiedenen kirchlichen und sozialen Organisationen oder das Reintegration Nordirak-Programm der International Organisation for Migration (IOM).

Illusionen machen sich laut der Diakonie-Mitarbeiterin jedoch die wenigsten über ihre Zukunft im Herkunftsland. »Ich glaube nicht, dass sich irgend jemand darauf freut.«

Neben den 40 Millionen Euro vom Bundesinnenministerium setzt man auch im Entwicklungsministerium auf Anreize zur freiwilligen Rückkehr. Ein Ministeriumssprecher bestätigte, dass man »im Haushalt des BMZ für die nächsten Jahre 150 Millionen Euro für ein Rückkehrerprogramm eingestellt habe mit dem Ziel, die freiwillige Rückkehr zu fördern«.

Die Bundesregierung verfolgt bei der Rückführung von Flüchtlingen also eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite Abschreckung und Zwang, durch Abschiebungen sowie die Planung weiterer Rücknahmeabkommen etwa mit den Maghreb-Staaten unter der Androhung von Kürzung der Entwicklungshilfe. Auf der anderen Seite gestaffelte Anreize für die Geflüchteten - je früher sie ihre Hoffnung auf Asyl begraben, desto höher der Bonus vom Staat.

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