Müllers «Marshall-Plan» erfreut die Agrarmultis
Hinter der freundlichen Fassade des Entwicklungsministeriums kommen sich widersprechende Interessen zum Vorschein
Rückblende: 21. März 2014. Nur wenige Abgeordnete sind noch im Plenarsaal des Bundestags, wo Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) seinen großen Auftritt hat. Der Minister erläutert sein neues Afrika-Konzept und die neue Sonderinitiative: «Eine Welt ohne Hunger ist möglich». In der Praxis sollen «Grüne Innovationszentren» die afrikanischen Kleinbauern mir der modernen Landwirtschaft vertraut machen und Wege aufzeigen, wie die Kleinbauern ein etwas größeres Stück der Wertschöpfungskette abbekommen. Dem steht jedoch die Handelspolitik der EU entgegen, die vor Ort verarbeitete Rohstoffe noch immer mit Zöllen belegt.
Drei Jahre später. Das Entwicklungsministerium konnte seinen Stellenwert in der Regierung steigern und seinen Etat. Grund: Die wachsende Zahl an Flüchtlingen sorgt dafür, dass Müller in vorderster Front steht, wenn es um die Bekämpfung der Fluchtursachen geht. Er warnt vor einer Spaltung der Welt «in einige Gewinner im Norden und viele Verlierer im Süden». Produktion, Handel und Verbraucher benötigen den richtigen moralischen Kompass: Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Müller stellt mit diesen Worten ein neues, offenbar überarbeitetes Afrika-Konzept vor: Dazu gehören zehn Grüne Zentren für nachhaltige landwirtschaftliche Wertschöpfung, die gemeinsam mit der deutschen Agrarwirtschaft kooperieren, zehn Berufsbildungszentren für ländliche Entwicklung, Aufbau eines Frühwarnsystems für steigende Nahrungsmittelpreise, 100 neue deutsch-afrikanische Partnerschaften (Schulen, Vereine, etc.)«, so lauten einige der Kernpunkte.
Pünktlich zur Internationalen Agrar-Show der Grünen Woche wertet er die Landwirtschaft als Entwicklungsbereich Nummer eins auf. Nach Ansicht mancher Entwicklungsexperten macht Müller dabei den Bock Agrarindustrie zum Gärtner. Dafür stehen unter dem Kürzel PPP (Public Private Partnership) einige Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung - für eine enge Kooperation des Müller-Ressorts mit fast allen namhaften Agrarkonzernen und einschlägigen Stiftungen - von BASF bis zur Bill-Gates-Foundation. Insgesamt investiert Berlin im laufenden Jahr rund 1,3 Milliarden Euro in Afrika - 100 Millionen mehr als im Jahr davor.
Auf der Grünen Woche diskutiert Müller auch mit Vertretern der verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Auf der theoretischen Ebene ist man sich rasch einig. Nicht nur im Handel, sondern auch in der Produktion von Nahrungsmittel sollen faire Konditionen eingeführt werden. Vorbild ist das Textilbündnis das auf Initiative Müllers zustande kam und dem Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie angehören, aber auch Gewerkschaften, Verbände und zivilgesellschaftliche Gruppen.
Im Agrarbereich stehen sich jedoch anders als im Textilsektor Entwicklungsorganisationen und Minister in einer Hinsicht diametral gegenüber: die Einschätzung der Rolle der Agrarmultis. So wirft Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) den Agrarmultis vor, sie würden den Kleinbauern das Wasser abgraben und vergiften. Die internationale Organisation Oxfam kritisiert ebenfalls die Kooperation mit den Multis im Rahmen des PPP-Programms: Dieses setze einseitig auf den Ausbau der industriellen Landwirtschaft inklusive des Einsatzes von Düngemitteln, Pestiziden und lizenziertem Industriesaatgut. Das führe zu einer völligen Abhängigkeit beim Saatgut von Monsanto und Co. Grundsätzliche Kritik kommt auch vom »Forum Umwelt und Entwicklung«. Kleinbauern würden durch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Großbetriebe vertrieben, teilweiseauch durch Landrdaub. Die Rolle der Agrarkonzerne im Rahmen der Sonderinitiative »Eine Welt ohne Hunger« soll klar eingegrenzt werden, ist eine zentrale Forderung.
Minister Müller sei jedenfalls zugänglicher als sein Vorgänger Dirk Niebel, meint Uli Post von der Welthungerhilfe. Doch hinter der freundlichen Fassade stünden einige sich widersprechende Interessen. Der Marshall-Plan ist ein Ausdruck davon.
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