Bäuerinnen und Bauern, vereinigt euch!
»nd«-Blogger Alberto Acosta fordert eine globale »Agrarrevolution«
Der konsumistische und zerstörerische Lebensstil, der von den Eliten des Nordens und Südens vorangetrieben wird und das Verhalten von Millionen von Menschen beeinflusst, ist nicht nur eine Gefahr für das globale ökologische Gleichgewicht. Gleichzeitig werden immer mehr Menschenmassen von den (vermeintlichen) Vorzügen des so herbeigesehnten Fortschritts ausgegrenzt. Der riesige technologische Fortschritt kontrastiert dabei mit einer immer ungleicher werdenden Gesellschaft, und hat auch keine Lösung der Armut und seiner Folgen gebracht. Acht einzelne Menschen verfügen über denselben Reichtum wie die ärmste Hälfte der gesamten Menschheit, sagt uns ein neuester Oxfam-Bericht. Winnie Byanyima, Direktorin von Oxfam International, hat ganz und gar Recht, »wenn ein von zehn Menschen auf der Erde mit weniger als zwei Dollar am Tag überleben muss, dann ist der unermessliche Reichtum in den Händen einiger weniger obszön. Diese Ungleichheit hält hunderte Millionen von Menschen in Armut, zerbricht unserer Gesellschaften und schwächt die Demokratie«.
Schauen wir auf unsere Ernährung, dann wird die Angelegenheit noch fragwürdiger. Während eine Milliarde Menschen an Hunger und Unterernährung leiden, haben fast eine Milliarde mit Fettleibigkeit oder Übergewicht zu kämpfen. Auf der ganzen Welt leben sieben Milliarden Menschen, es werden aber Nahrungsmittel für 10 bis 11 Milliarden Menschen hergestellt. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) werden pro Jahr über 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel auf den Müll geworfen, die einwandfrei und essbar sind. 670 Millionen Tonnen werden im globalen Norden, 630 Millionen im Süden weggeschmissen. Drei Milliarden Menschen könnten damit ernährt werden.
Gleichzeitig unterliegen 70 Prozent des weltweit gehandelten Getreides der Spekulationslogik. Und ob wir sie nun Agro- oder Biobrennstoffe nennen, es werden Nahrungsmittel für AUTOS statt für Menschen erzeugt. In Indien sorgen Gewinnorientierung und mangelnde Infrastruktur durch schlechte Politiken dafür, dass ein Drittel der Nahrungsmittel verderben, bevor sie überhaupt den Konsumenten erreichen. Das weltweite Geschäft mit der Nahrung ist für einen kolossalen, nie dagewesenen Angriff auf unsere gemeinschaftlichen und lebensnotwendigen Güter verantwortlich. Zuallererst auf fruchtbares Land, um Platz zu schaffen für die Monokulturen, welche von der Industrie gebraucht werden. Sie konzentriert sich in sehr wenigen Händen (was wiederum so schwerwiegende soziopolitische Probleme schafft wie den bis heute nicht gelösten Kolumbien-Konflikt).
Zweitens verringert die immer technisiertere und industrialisierte Landwirtschaft die Biodiversität immer weiter. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts muss ein Verlust von 75 Prozent der genetischen Vielfalt festgestellt werden, so Angaben des deutschen Landwirtschaftsministeriums. Dieser Trend wird durch eine Landwirtschaft, die auf genetisch veränderte Organismen und die dazu gehörigen Technikpakete setzt, weiter verschärft. Heute sind 30 Prozent der Samen in Gefahr auszusterben. Gleichzeitig hängen Dreiviertel der Welternährung von nur zwölf Pflanzenarten und fünf Tierarten ab. Nur drei Arten – Reis, Mais und Weizen – tragen zu rund 60 Prozent der Kalorien und Proteine bei, die der Mensch rund um den Globus zu sich nimmt. Nur vier Prozent der 250.000 bis 300.000 bekannten Pflanzenarten werden überhaupt von Menschen genutzt. So kann man von Argentinien als eine Monokultur in sich sprechen, denn der Soziologin Maristella Svampa zufolge wurden 33 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Flächen für den Anbau genveränderter Soja-Pflanzen umgewandelt. In diesem Panorama werden wir Zeugen, wie große transnationale Nahrungsmittel-Konglomerate wie Bayer-Monsanto ihre Macht durch die Kontrolle von Saatgut ausüben.
Auch das Wasser ist schließlich unter Beschuss, zum einen wegen der enorm ungleichen Verteilung, zum anderen wegen eines zunehmend wachsenden Verbrauchs, der mit nichts mehr zu rechtfertigen ist. Die Übernutzung und Verschwendung von Wasser, besonders im industrielen Bereich, ist gigantisch. Dazu kommt noch die Verschwendung durch die mangelhaften Wasserverteilnetze der großen Städte. Extraktive Aktivitäten wie Bergbau, Erdölförderung, Monokulturen sind (neben der Luft- und Bodenverschmutzung) wegen der weitreichenden Verschmutzung von Oberflächen- und Untergrundwasser die ganz großen Verantwortlichen für die perversesten Formen der systematischen Wasserübernutzung überhaupt.
Diese Welt braucht dringend einen Kurswechsel. Nahrung und Wasser müssen als grundlegendes Menschenrecht anerkannt werden. Sie dürfen kein weiterer Faktor sein für noch mehr Kapitalakkumulation und weitere Zerstörung unseres Planeten. Was gebraucht wird ist die Wiederbefähigung der Nahrungsmittelproduktion im Zusammenspiel mit den ökologischen Kreisläufen, um so die Biodiversität zu stärken und das Wissen der Bauern wieder mehr zu respektieren, und den Ernährungsbedürfnissen der Menschen dienend.
Von der einfachen Nahrungsmittelsicherheit müssen wir zur Nahrungsmittelsouveränität kommen. Diese Möglichkeit stützt sich auf das Recht der Kleinproduzenten und Bauern ihre eigene Landwirtschaft zu kontrollieren. Und auf das Recht der Konsumenten ihre Ernährung zu kontrollieren. Dafür spielen übrigens die Frauen auf dem Land eine Schlüsselrolle. Für diese Herausforderung kann und sollte die Welt ein »Null-Hunger«-Programm auf den Weg bringen, um so eine echte Agrarrevolution zu schaffen. Eine Agrarrevolution, die den demokratischen und gemeinschaftlichen Zugang zu Land und Boden als Grundpfeiler der Nahrungsmittelsouveränität garantiert. Eine neue Ethik für Land und Boden (was uns allen gehört) wäre mit einer weisen Landwirtschaft, mit ökologischem Anbau, einer Entprivatisierung des Wassers und gesellschaftlich geführter Bewässerungsverwaltung, der Einführung angemessener Kreditmechanismen, mit einer Förderung geeigneter Technologien, Stärkung von Transportsystemen und Schaffung gerechter Märkte erreicht.
Schlussendlich lässt sich sagen, dass die Zukunft der Menschheit und des Planeten in den Händen all derer liegt, die direkt mit der Erde leben und arbeiten, also zuvorderst von den Produzenten auf dem Land und den indigenen Völkern. Bäuerinnen und Bauern aller Länder, vereinigt euch! Wir brauchen euch!
Übersetzung: Benjamin Beutler
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