»KZ-ähnliche Verhältnisse« in Libyens Flüchtlingscamps
Bericht der deutschen Botschaft in Niger beklagt schwerste Menschenrechtsverletzungen / Hilfsorganisationen warnen vor Abkommen
Berlin. Das Auswärtige Amt hat die Zustände in bestimmten libyschen Flüchtlingslagern als »KZ-ähnlich« kritisiert. Diese drastischen Worte wählte laut »Welt am Sonntag« die deutsche Botschaft in Niger in einem internen Bericht an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien. Forderungen nach einem Flüchtlingsabkommen mit Libyen nach dem Vorbild des Türkei-Deals erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag eine Absage.
Menschen könnten in das nordafrikanische Land nur zurückgeschickt werden, »wenn sich die politische Situation in Libyen verbessert hat«, hob Merkel in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft hervor. Es müsse zwar mit Libyen in der Flüchtlingsfrage zusammengearbeitet werden, aber es gebe »im Augenblick keine Situation, in der wir so ein Abkommen wie mit der Türkei abschließen können«. Dazu müsse sich die politische Lage in Libyen bessern, die Einheitsregierung müsse die Kontrolle über das ganze Land haben und dann müsse über Menschenrechte und Standards gesprochen werden.
Nach einer sogenannten Diplomatischen Korrespondenz (intern: »Drahtbericht«) der deutschen Botschaft in Niger werden in vielen libyschen Flüchtlingslagern »allerschwerste, systematische Menschenrechtsverletzungen« begangen. Wörtlich heißt es demnach in dem internen Bericht: »Authentische Handy-Fotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.« In solchen »Privatgefängnissen« würden Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten.
»Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung«, heißt es laut »Welt am Sonntag« in dem Bericht weiter. »Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen (...) und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen.«
Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, forderte Konsequenzen. Die Bundesregierung müsse »mit aller Macht dafür eintreten, dass ein neues Abkommen mit Libyen nicht zustande kommt«, sagte sie der »Welt am Sonntag«.
Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Freitag bei einem Treffen in Malta unter anderem über die Rekordzahl an Flüchtlingen beraten, die aus Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten nach Europa kommen. Die maltesische EU-Ratspräsidentschaft will ein ähnliches Abkommen mit Libyen wie mit der Türkei. Der Anti-Asyl-Deal sieht vor, dass in Griechenland ankommende Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden. Der Vorschlag von Malta stößt in der EU aber auf Vorbehalte.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl forderte die Bundeskanzlerin am Sonntag dazu auf, die Ausbildung der libyschen Küstenwache zu beenden. »Aus Seenot Gerettete dürfen nicht nach Libyen gebracht werden und in KZ-ähnlichen Lagern landen«, teilte Geschäftsführer Günter Burkhardt am Sonntag mit. Viele regten sich über den von US-Präsident Donald Trump geplanten Mauerbau an der Grenze zu Mexiko auf, sagte Burkhardt. Doch die EU wolle »Geld und Technik liefern für eine Art Doppelmauer« im Mittelmeer und an der Grenze zwischen Libyen und Sudan.
Auch die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« hat sich dagegen ausgesprochen, dass die EU im Mittelmeer gerettete Menschen in Lager nach Libyen bringt. »In manchen Lagern haben die Gefangenen weniger als einen halben Quadratmeter Platz, die hygienischen Bedingungen sind oft katastrophal, oft gibt es nicht einmal genug Nahrung und sauberes Trinkwasser«, erklärte die Organisation am Donnerstag in Berlin.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich für ein dreistufiges Modell ausgesprochen. Bei wenigen ankommenden Flüchtlingen soll es bei der bisherigen Regelung bleiben. Falls Erstaufnahmeländer wie Italien besonders belastet werden, würde ein Mechanismus zur Verteilung von Asylbewerbern auf andere EU-Länder einsetzen. In einem dritten Schritt könnte es demnach bei einem »Massenzustrom« auch zu »Rückführung in sichere Orte außerhalb Europas« kommen.
Der Minister sagte der »Welt am Sonntag«, in der jetzigen Lage könnten »die Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt«. Das Geschäftsmodell der Schlepper sei jedoch »grausam«. Flüchtlinge erkauften sich für viel Geld einen Platz in einem kaum seefähigen Boot. Es gebe in der UN-Flüchtlingskonvention einen Anspruch von Schutzsuchenden gegenüber der Völkergemeinschaft: »Aber es gibt darin keinen Anspruch, hinzugehen, wo man will.« Der Minister fordert schon seit längerem Aufnahmelager in Nordafrika.
CSU fordert europaweite Flüchtlings-Obergrenze und große EU-Reform
Damit ist de Maizière in der Regierungskoalition nicht allein. Eine noch härtere Schiene in der Asylpolitik fährt allerdings die CSU. Sie will Merkel neue flüchtlingsfeindliche Forderungen mit auf den Weg nach Malta geben.
So soll an diesem Montag der Parteivorstand ein Papier zur Europapolitik beschließen, in dem unter anderem eine europaweite Verteilung von Flüchtlingen mit festen Obergrenzen gefordert wird. »Anders als die SPD und ihr Kanzlerkandidat wollen wir, dass es klar definierte Grenzen für Europa gibt, etwa bei der Aufnahme von Migranten, und einen Stopp der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei«, sagte der Parteivize und Vorsitzender der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, dazu gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Die CSU verlangt darüber hinaus auch eine grundlegende Reform der Europäischen Union. »Jetzt fordern wir nach 60 Jahren europäischer Einigung einen Systemcheck, welche Aufgaben zwingend auf EU-Ebene und welche sinnvoller auf Bundes- und Länderebene angesiedelt werden«, heißt es in dem sechsseitigen Papier, das der dpa vorliegt. Zuvor hatte bereits die »Passauer Neue Presse« daraus berichtet.
»Anders als die SPD und ihr Kanzlerkandidat wollen wir, dass es klar definierte Grenzen für Europa gibt, etwa bei der Aufnahme von Migranten, und einen Stopp der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei«, sagte Weber weiter. dpa/nd
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